Tote essen keinen Döner
Traum! Ich werde nie vergessen, wie du und Mutter gestern im Keller einer nach dem anderen wie Schießbudenfiguren umgekippt seid.«
»Ich wollte doch nur deiner Mutter Gesellschaft leisten. Du wirst sehen, in Zukunft wird mich nichts mehr so leicht umhauen. Weder das Original aus der Hölle noch die billige Kopie in der Tiefkühltruhe!«
»Okäy, okäy, aber ich muss mich erst mal in Ruhe anziehen.«
»Gut, gut, lass dich nicht stören«, rufe ich und gehe ins Badezimmer, um mein Gesicht zu waschen. Auf dem Weg dorthin fängt plötzlich das ganze Haus an zu wackeln und zu vibrieren, begleitet von einem ohrenbetäubenden Lärm.
»Ein Erdbeben«, kreischt Mehmet und läuft in Unterhosen hinaus auf den Flur.
»Hey, wer von uns beiden ist hier wohl der Angsthase?«, rufe ich ihm hinterher, »los, komm wieder zurück, die zwei neuen Kollegen aus der Ukraine hauen doch im Badezimmer nur die alten Kacheln von der Wand.«
»Vater, ich drehe in diesem Haus noch durch! Wie kann |108| man denn zu dieser unmöglichen Zeit einen solchen Krach veranstalten? Abgesehen davon, wie kann man denn in eine Wohnung einziehen, wenn noch nichts renoviert ist?«
»Mehmet, denkst du, ich will doppelt Miete bezahlen? Langsam kommen wir mit der Renovierung doch voran.«
»Osman, Osman, komm mal schnell«, kreischt plötzlich Eminanim.
»Frau, beruhige dich, das sind doch bloß die Arbeiter von Sükrü. Die nehmen nur das Badezimmer auseinander.«
»Das weiß ich auch, die habe ich doch vorhin selber reingelassen.«
»Und warum bist du so blass, hast du etwa wieder eine neue Leiche entdeckt?«
»Fast wäre ich selber eine Leiche geworden, unser gesamtes Schlafzimmer ist nämlich soeben eingestürzt!«
Und in der Tat, unser ganzes Bett, alle unsere Kleider, alles ist unter einer weißen Schicht begraben. Es ist der reinste Trümmerhaufen.
»Hier in der Ecke waren die alten Tapeten etwas lose und ich habe ganz vorsichtig daran gezogen, weil wir ja sowieso neu tapezieren wollen, dann sind die Wände eine nach der anderen runtergekommen!«, erzählt meine Frau immer noch aufgelöst.
»Putz lose sein«, gibt einer von Sükrüs Schwarzarbeitern seinen fachmännischen Kommentar dazu ab. Ich sehe diesen ukrainischen Kollegen zum ersten Mal. Sükrü schickt uns ständig neue Leute. Teils, weil sie von der Polizei ohne Papiere erwischt werden, teils, weil sie unsere Musik nicht mögen und uns deshalb meiden.
»Ganze Wohnung Putz lose, nix gut Zement, wie bei |109| Sowjets«, wiederholt der Mann wieder, zieht dann lässig im Vorbeigehen im Wohnzimmer an der alten Tapete, und plötzlich fliegt uns auch diese Wand mit viel Wirbel um die Füße.
»Mein Gott, ich hab erst gestern überall sauber gemacht«, fängt Eminanim an zu heulen.
»Hat man früher die Wände nur mit Tapeten festgemacht, oder was?«, fluche ich.
»Wenn nix gut Arbeit, Putz kommen später immer runter, wie bei Sowjets!«
»Wenn ihr die Tapeten nicht berührt hättet, wäre der Putz immer noch da, wo er früher mal war!«
»Osman, wir wollten doch neu tapezieren.«
»Eben! Mit einer anständigen, dicken Tapetenschicht obendrauf wäre der Putz dann bombenfest gewesen.«
»Aber dann alles dir bombensicher auf Kopf knallen, wie bei Sowjets«, lacht der fremde Mann, der doch nicht so arm zu sein scheint. Er hat mindestens ein halbes Kilo Gold im Mund.
»Du sollen reparieren, nix kaputt machen, jetzt muss ich auch noch die Wände neu verputzen lassen«, will ich fast schimpfen, aber schlucke alles mit dem weißen Staub herunter, aus Angst, bald überhaupt keinen Arbeiter mehr zu bekommen – weder schwarz noch weiß!
»Papa, Papa, seid ihr alle taub, oder was? Es klingelt die ganze Zeit wie verrückt an der Tür«, ruft meine kleine Tochter Hatice in ihrem Schlafanzug.
»Kein Wunder, die Nachbarn machen sich sicherlich große Sorgen, dass wir ihnen das ganze Haus unter dem Hintern abreißen«, knurre ich und laufe zur Tür.
»Beim Umzug hättest du auf die albernen Schoweinlagen |110| lieber verzichten und das Geld in die Renovierung stecken sollen«, ruft mir Mehmet hämisch hinterher.
Ohne diese Leiche im Keller wäre mir das Ganze bestimmt nicht so über den Kopf gewachsen! Soviel ich weiß, stand sie ja auch nicht im Mietvertrag. Vielleicht hätte ich das Kleingedruckte doch genauer lesen sollen.
Oh nein, es stehen schon wieder zwei Polizisten vor der Tür. Es hat sich wohl rumgesprochen, dass unsere Leiche wieder an Bord ist.
»Guten Tag, Herr Engin, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher