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Tote essen keinen Döner

Titel: Tote essen keinen Döner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dem Grübeln an: Was wollte diese Frau Tamara mit ihrer komischen Aktion hier erreichen? Gewiss nicht nur meine 20   Euro. Hat sie etwa was mit den Morden zu tun? Wollte sie nur mal die Situation bei uns tschecken, um rauszukriegen, was wir mit der Leiche gemacht haben? Vermutlich wurde sie vom Mörder damit beauftragt, uns auszuhorchen? Auf jeden Fall kannte sie als ehemalige Bewohnerin des Hauses den toten Adolf viel besser als wir. Wir kennen ja überhaupt niemanden in diesem gottverdammten Haus hier. Nur die etwas verwirrte Oma von oben. Ich muss unsere Nachbarn unbedingt etwas genauer unter die Lupe nehmen. Aber selbstverständlich nicht um zwei Uhr nachts!
    |142| Eigentlich sollte ich jetzt schlafen, aber da das ja ohnehin nicht klappt, will ich was Besseres versuchen. Ich werde mir ein Herz fassen und diese Geschichte noch heute Nacht hinter mich bringen. Wenn ich gut aufpasse, kann eigentlich nichts schiefgehen. Als ich eben stundenlang wach lag, habe ich die Hälfte der Zeit dafür genutzt, meinen Plan bis ins kleinste Detail auszuarbeiten.
    Ich stehe leise auf und ziehe mir vor dem Spiegel Eminanims Strumpfhose über den Kopf, um sie als Maske zu testen. Hoffentlich macht mein Herz die Aufregung mit!
    Alle Gegenstände und Werkzeuge, die ich für die Tat brauche, deponiere ich in meiner schwarzen Tasche. Das ganze Haus schläft tief und fest, es ist überhaupt nichts zu hören. Ich betrachte ein letztes Mal alle meine Kinder in ihren Betten und verabschiede mich leise von meiner Frau, ohne sie zu wecken. Stumm spreche ich alle Gebete, die ich auswendig weiß, sowohl die arabischen als auch die lateinischen, und schleiche dann auf Zehenspitzen aus dem Haus.
    Als ein Polizeiwagen an mir vorbeifährt, bin ich drauf und dran, aufzugeben. Doch ich beiße die Zähne zusammen und gehe vorsichtig zu meinem Ford-Transit. Ich habe keine Ahnung, wie viele Jahre ich im Knast absitzen muss, wenn sie mich erwischen. Ich bin mir des Risikos durchaus bewusst. Erst kürzlich wurde jemand aus einem ähnlichen Grund vor Gericht gestellt, und das Urteil schockierte die gesamte Öffentlichkeit.
    Dort, wo ich hin will, müssten jetzt alle Leute schlafen. Das nächste Polizeirevier ist kilometerweit entfernt. Trotzdem zittern mir die Knie. Ich gebe vorsichtig Gas. Es gibt für mich keinen Weg mehr zurück.
    |143| Nach zehn Minuten bin ich schon da. Zum Glück ist heute kein Vollmond. Es ist alles ziemlich finster. Ich schaue mich nach allen Seiten um. Die ganze Straße scheint tief und fest zu schlafen. Blitzschnell ziehe ich mir die Strumpfhose über den Kopf, schnappe meine Tasche und springe aus dem Wagen. Ich zittere wie Espenlaub. Wie beim ersten Kuss oder wie jemand, der zum ersten Mal Schmiergeld kassiert. Von ganz weit her höre ich eine Polizeisirene, aber sie entfernt sich wieder. Ich konzentriere mich voll auf die Arbeit. Ich weiß, dass ich es mit ein wenig Glück schaffen kann.
    Eiskalt packe ich den Pinsel mit der rechten, den Farbeimer mit der linken Hand und nähere mich der Hauswand. Gekonnt und in atemberaubender Schnelligkeit übermale ich mit weißer Farbe die Parole »Ausländer Raus«, die wir vor zwei Tagen hier an die Wand geschrieben haben, springe dann wieder in meinen Ford-Transit und rase ohne Licht weiter, bis ich aus der Straße raus bin. Kurze Zeit später halte ich wieder an und mache mich erneut an die Arbeit. Diesmal muss außer dem Spruch »Ausländer Raus!« auch meine tolle Erfindung »Lieber Glatze als Kopftuch« dran glauben. Eine nach der anderen fahre ich alle Straßen ab, um unsere schöne Stadt von dieser Verschandelung zu säubern. Es ist doch kaum zu glauben, dass in Deutschland nicht diejenigen bestraft werden, die die Wände mit diesen hässlichen Parolen beschmieren, sondern diejenigen, die sie entfernen. Ein Gericht hat tatsächlich so entschieden. Ich mache mich jetzt also strafbar, weil ich fremde Wände streiche, indem ich Nazi-Sprüche übermale. Um nicht mit der vollen Wucht dieses sehr logischen und ausgesprochen gerechten Gesetzes |144| konfrontiert zu werden, überpinsele ich nicht mehr die kompletten Sprüche, sondern ich ändere sie nur ein bisschen ab – zum Beispiel in »Nazis Raus!«.
    Als ich an der Hauptstraße bin, merke ich, dass ich nicht der Einzige bin, der in dieser dunklen Nacht gegen das Gesetz verstößt. Ich beobachte einen Haufen gut gelaunter Jugendlicher, die mit viel Freude und langen Holzlatten die vielen RN U-Plakate , die wegen der Regionalwahlen

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