Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
konzentriert.
Die Arbeit an den Texten ging Pippa mühelos von der Hand, und sie hatte das Gefühl, dass ihr die Übersetzungen so leicht fielen wie selten zuvor. Ohne sie zu unterbrechen, stellte Régine ihr gegen Mittag ein paar Oliven, Käse, Baguette und ein kühles Glas Wasser mit frischen Zitronenscheiben auf den Tisch und widmete sich dann wieder ihrer Lektüre.
So ist es perfekt, dachte Pippa, entspannte, kreative Ruhe und Gemeinschaft – und stillschweigendes Einverständnis.
Als sie mit der ersten Arbeitsmappe fertig war, beschloss sie, eine kurze Pause einzulegen. Sie schob den Laptop zur Seite und aß ein wenig Käse und Baguette.
Entspannt zurückgelehnt, kam ihr ein Ausspruch Hemingways in den Sinn: Wir müssen uns daran gewöhnen: An den wichtigsten Scheidewegen unseres Lebens stehen keine Wegweiser . Es gab einen Wegweiser zu Régines Paradies, aber keinen zur richtigen Entscheidung über ihr Leben mit – oder ohne – Leo.
Pippa sah zu ihrer Gastgeberin hinüber. Régine-Deux war mit ihrem Leben im Einklang – sie hätte bestimmt nicht damit gewartet, Leos Angebot sofort und unmissverständlich abzulehnen. Warum hatte sie selbst gezögert? Weil sein Vorschlag all das enthielt, was sie sich für ihre Zukunft wünschte: wieder literarische Texte übersetzen und davon leben zu können, und das auch noch in Venedig, der Stadt ihrer Träume. Ja, Leo, genau darum geht es, dachte sie, um den Wegweiser in die Stadt meiner Träume – und nicht etwa um den Mann meiner Träume.
Sie seufzte und nahm die nächste Mappe zur Hand. Die Lüge tötet die Liebe. Aber die Aufrichtigkeit tötet sie erst recht war der Titel des nächsten Themas, über das die Professoren sich ausgetauscht hatten.
Das ist mal eine gewagte These, dachte Pippa, die kann nur von einem Mann wie Leo kommen. Sie kicherte und korrigierte sich: Pardon, Hemingway natürlich!
Sie schlug die Mappe auf und starrte auf einen großen Umschlag, der mit ihrem Namen beschriftet war. Pippa war verwirrt – dieses Kuvert hatte definitiv noch nicht in der Mappe gelegen, als sie diese zuletzt in der Hand hatte. Neugierig öffnete sie den Umschlag und zog zu ihrer Verblüffung einen Stadtplan von Toulouse hervor. Als sie ihn auseinanderfaltete, fielen ihr vier weitere Papierstücke entgegen: eine Busfahrkarte, eine Eintrittskarte für die Gemäldegalerie Fondation Bemberg und zwei bedruckte Zettel.
Sie bemerkte, dass auf dem Stadtplan mit gelbem Marker ein Rundgang eingezeichnet war. Einige Orte und Plätze waren besonders hervorgehoben und nummeriert – die dazugehörigen Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten fand sie auf einem der beiden Zettel. Die berühmte Galerie war rot markiert, und die Fahrkarte galt für die Strecke von Chantilly-sur-Lac nach Toulouse, für den nächsten Tag um 10.30 Uhr.
Kopfschüttelnd las sie auf dem zweiten Zettel: Mittagessen in der Brasserie Le Florida, 14 Uhr, Place du Capitole. Das war alles: Weder eine Unterschrift noch sonst irgendein Hinweis verriet, wem sie die Einladung zu einem Ausflug nach Toulouse verdankte.
Pippa wusste nicht, ob sie sich freuen oder doch lieber misstrauisch sein sollte. Wer hatte diesen Umschlag in die Arbeitsmappe gelegt? War es Tisserand, mit dem sie über die Galerie gesprochen hatte? Schmidt? Pascal? Vielleicht Leo? Oder hatte Pia jemanden beauftragt, sie zu überraschen? Wer immer es sein mochte – er oder sie war heimlich in ihrem Zimmer gewesen, und Pippa sah ihr ungutes Gefühl nach dem nächtlichen Bad mit Tatjana und Cateline bestätigt.
»Régine, darf ich Sie kurz stören?«, fragte Pippa. »Haben Sie den hier in die Mappe getan? Lag er vielleicht auf dem Tisch?« Sie hielt den Umschlag hoch.
Régine legte das Buch beiseite, erhob sich von der Liege und kam zum Tisch. Sie schüttelte den Kopf und studierte interessiert den Inhalt des Kuverts.
»Nie gesehen«, sagte sie schließlich. »Ich habe mir einfach einige Mappen gegriffen – wie versprochen. Aber ich erinnere mich genau, dass die da obenauf lag.« Sie deutete auf die Mappe, in der Pippa den Umschlag gefunden hatte. »Ich dachte noch«, fuhr die Wirtin fort, »dass der Spruch eine ganze Menge Wahrheit beinhaltet. Und dass ich gerade einem Mann so viel Weisheit gar nicht zugetraut hätte.«
So kann man es natürlich auch interpretieren, dachte Pippa.
Régine bemerkte, wie unwohl sich Pippa mit der ungeklärten Herkunft des Umschlags fühlte. »Irgendjemand hat sich also während Ihrer Abwesenheit
Weitere Kostenlose Bücher