Tote gehen nicht
Gesichtspunkt einer Sportwette zwischen zwei ehrgeizigen Oberärzten, von denen einer auf der Flucht war.
Ab Malsbenden lief Edgar im Tal durch ein Waldstück parallel zur Urft und überquerte sie auf einer Brücke. Reiterhof und Jugendherberge fotografierte er, kurz darauf folgte rechter Hand am Ende einer schmalen Nebenstraße ein Parkplatz. Ein einziges Auto stand dort quer. Ein schmutziger PKW. Edgar hob seine Kamera an, hielt aber inne, als er entdeckte, dass jemand am Steuer saß. Und ein weiterer Jemand neben ihm. Die Scheiben waren beschlagen. Edgars Haare stellten sich auf.
Er wandte den Kopf, richtete seinen Blick geradeaus und marschierte vorgeblich ruhig weiter, sein Wanderstock schlug gleichmäßig auf den steinigen Boden. Aus den Augenwinkeln sah er, wie eine Autotür geöffnet wurde.
»Hallo!«
Edgar stellte sich blind und taub.
»Hallo, Sie da! Warten Sie!«
Edgar marschierte um sein Leben.
Als er glaubte, Schritte hinter sich zu hören, drehte er sich nicht um, sondern wurde nur noch schneller. Einem Schwimmbad, das in sein Blickfeld geriet, schenkte er einen sehnsüchtigen Gedanken. Abtauchen, das war es, was er jetzt am liebsten tun würde. Sich in die Fluten stürzen samt schwerem Gepäck und Wanderstock.
Die ersten Dächer von Gemünd schimmerten durch die Bäume. Im Laufschritt erreichte er den Ort, blieb atemlos stehen und blickte ein letztes Mal zurück. Am Ende des Weges verschwand eine Gestalt zwischen den Bäumen.
Wenn ihm jemand folgte, war es die Polizei. Und die Polizei hatte es nicht nötig, auf dubiosen Parkplätzen in schmutzigen, alten Autos zu warten und ins Dickicht zu springen, wenn er sich umdrehte.
Wenn er so weitermachte, war er bei seiner Ankunft in Trier ein psychisches Wrack. Wenn er es überhaupt bis dahin schaffte. Und Gott allein wusste, in welcher verdammten Zeit.
Als er auf einen kleinen Nebenweg zum Hotel Sophienhof einbog, beschlich ihn erneut ein seltsames Gefühl. Das Gebäude erinnerte ihn an seine alte Grundschule, und diese Erinnerungen waren nicht besonders gut. Es war ein helles Gebäude mit hohen Fenstern und wirkte dennoch bedrohlich auf Edgar. Auf dem großen Parkplatz standen ein Reisebus und einige PKW. Eine völlig unauffällige Situation, aber Edgar konnte sich ihr nicht stellen. Alles in ihm sagte: Sei vorsichtig!
Über dem Sophienhof schien eine dunkle Wolke zu liegen, obwohl sich die Sonne in den Fenstern spiegelte. Aber selbst die reflektierten, rotgoldenen Strahlen schienen ihn zu warnen: Kehr um, Edgar, kehr um!
Er zögerte. Ihm war bewusst, was er riskierte, wenn er umkehrte. Er verlor Zeit, lebenswichtige Zeit. Es war ungewiss, ob er anderswo ein freies Zimmer finden würde. Es war ungewiss, wie lange es dauern würde. Und es konnte sein, dass er hierhin zurückkehren musste, und seine Extra-Runde und die Minuten, die er verloren hatte, verfluchen würde und gezwungen war, sie morgen wieder reinzuholen. Unmöglich, denn morgen stand ihm eine Doppeletappe bevor.
Er hatte die 21 Kilometer von Einruhr nach Gemünd zwar in einer Bombenzeit, in dreieinhalb Stunden, geschafft, aber wer sagte ihm denn, dass Lutz sie nicht in ein paar Tagen in noch kürzerer Zeit schaffen würde? Alles sprach dagegen, aber die dunklen Gedanken ließen sich nicht abschütteln. Er hatte das Gefühl, jemand wartete im Sophienhof auf ihn, jemand, den er nicht treffen sollte oder wollte. Und dieser Jemand würde ihm sagen, dass es nicht rechtens war, die ermordete Helena einfach zurückzulassen ...
Und genau das wollte er nicht hören. Er wollte auch keine Fragen beantworten. Er wollte schlafen und fit sein für morgen. Sonst nichts. Er wanderte hier nicht zum Zeitvertreib und schon lange nicht mehr zum Vergnügen.
Edgar machte erst einige Schritte rückwärts, als wolle er sich selbst überlisten, danach drehte er sich um und stapfte entschlossen in den Ort hinein, über den Marktplatz und die Fußgängerzone entlang. Er gestand sich einen einzigen Versuch zu. Vielleicht hatte er Glück. Aber so war es nicht. Im Hotel Friedrich bedauerte man, man sei belegt.
14 Uhr .
Edgar kehrte zum Biergarten des Hotel Friedrich zurück, das nahe der Mündungsbrücke von Urft und Olef lag, trank drei Bier und starrte aufs Wasser, wo sich ein Rudel weiblicher Enten tummelte.
15 Uhr .
Edgar flüchtete ins Café Theißen, ein gemütliches Oma-Café, verschanzte sich in der hintersten Ecke bei Kaffee und einem Sandwich hinter den Produktionen der Yellow
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