Tote gehen nicht
durch das Foyer und sah sich um. Niemand zu sehen. »Meine Name ist Sonntag, Martin Sonntag.«
Sonntag , wiederholte das Echo im Treppenhaus.
»Ich komme geradewegs aus Steinfeld.«
Ein Feld , verstand das Echo im Treppenhaus.
»Macht 44 Euro«, meinte der Mann und schob ihm eine handgeschriebene Rechnung und den Meldezettel zu. Edgar bezahlte in bar. Als er begann, in seinem Rucksack nach seinem Personalausweis zu suchen und die Aktion aus taktischen Gründen ausführlich in die Länge zog, winkte der Mann ab und sagte: »Lassen Sie mal. Den können Sie mir morgen zeigen. Ich will endlich Feierabend machen.«
»Ein langer Tag, nicht wahr?«, fragte Edgar.
»Und die ganze Zeit die Polizei im Haus.«
Edgar schluckte und versuchte beiläufig zu klingen. »Ist denn was passiert?«
»Sie suchen einen Mörder.« Der Mann verdrehte die Augen. »Aber der ist natürlich nicht gekommen. Würde ich an seiner Stelle auch nicht tun.«
Das saß. Edgar blieb jedes weitere Wort im Hals stecken. Er verzichtete darauf, dass der Mann ihm die Zeit quittierte. Er würde für Lutz schon eine Erklärung für den fehlenden Stempel finden. Er konnte immerhin die Hotelrechnung vorweisen, auf die er seine Zeit würde eintragen lassen. Man konnte doch mal etwas vergessen!
Sein Zimmer, das im Erdgeschoss lag, war groß wie ein Klassenzimmer und trug die Nummer 24. Kaum war Edgar allein, folgte die übliche Prozedur am Ende einer Etappe: Alles fallen lassen und auf dem Bett alle Viere von sich strecken. Aber dieses Mal schloss Edgar sein Zimmer ab.
Seine Füßen waren schwer, aber nicht taub und noch immer ohne Blasen. Seine Wanderschuhe mussten wahre Wunderwerke der Technik sein. Insgesamt fühlte er sich weniger körperlich am Ende als psychisch. Der Muskelkater der Seele war schmerzhafter als jeder Wadenkrampf. Edgar schaltete die kleine Nachttischlampe an und löschte das Deckenlicht. Er öffnete eine der Bierdosen, nahm einen Schluck und wählte Lutz’ Telefonnummer.
Während des Gesprächs, bei dem Lutz nach wie vor keine Erschöpfung erkennen ließ, sondern mit seiner Kondition prahlte, gab er Lutz die Zeit durch, in der er das Hotel beim ersten Mal erreicht hatte. Ein paar Mal war er kurz davor, zu berichten, was in Einruhr passiert war.
Aber er tat es nicht.
Bei Lutz wusste man nie. Er konnte von plötzlichen Gerechtigkeitsattacken heimgesucht werden, und dann war er nicht wiederzuerkennen. Unter Umständen hätte er die ganze Aktion abgeblasen. Und dann? So lästerten sie nur wie gewohnt über ihre Schwächen und ermunterten sich zu ihren Stärken, als gebe es auf der Welt nichts Interessanteres als ihre Wette.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Lutz geschlagene drei Mal nach. Beim ersten Mal klang es beiläufig, beim zweiten Mal neugierig, beim dritten Mal nervte es. Denn Edgars Welt war alles andere als in Ordnung.
Erst als sie das Gespräch beendet hatten, fiel Edgar ein, dass Lutz eine Frage wie diese sonst nie stellte. Sie gehörte einfach nicht zu seinem Wortschatz.
Und schon begann sich wieder das Rad in Edgars Kopf munter um sich selbst zu drehen und kam erst zum Stillstand, als heißes Wasser auf ihn herunterprasselte. Die Dusche lief, als gebe es keinen Hahn, als stehe er unter einem Wasserfall. Er ließ Minuten vergehen und die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft aus seinem System spülen. Nur kurz drehte er ab, um sich einzuseifen, als er hörte, wie sein Handy klingelte. Er lauschte, als könne er am Klingelton erkennen, wer ihn anrief. Es hörte auf und fing sofort wieder an. Es klingelte energisch und ungeduldig. Edgar lief tropfend und auf Zehenspitzen an sein Bett. Das Handy verstummte. Er musste es dicht vor die Augen halten, weil seine Brille noch im Bad lag.
Unbekannt stand auf dem Display.
Während er sich abtrocknete, klopfte es an seine Zimmertür. Er hielt mitten in der Bewegung inne und wartete ab, ob er sich verhört hatte. Es klopfte wieder. Ein Lichtstrahl fiel unter der Tür herein. Die Klinke wurde heruntergedrückt.
Edgar band sich das Handtuch um die Hüften und fragte: »Wer ist denn da?«
»Ich.« Eine weibliche Stimme. »Ich wohne neben Ihnen. Ich wollte Sie nur bitten, etwas leiser zu sein, weil ...«
Edgar war mit einem Schritt an der Tür, drehte den Schlüssel herum und öffnete. »Entschuldigung, ich bin gerade erst ...«
Vor ihm im schwach beleuchteten Flur, nur bekleidet mit einem weißen, seidenen Unterkleid, das mehr sehen ließ, als es verbarg, stand
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