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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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... Helena.
    Helena aufgelöst und mit zerzaustem Haar und Augenringen, plötzlichen Falten um den schmalem Mund. Edgar stockte der Atem. Seine Hand rutschte von der Türklinke, die mit einem Scheppern hochschlug. Seine Knie wurden weich. Er musste sich gegen den Türrahmen lehnen, um nicht umzusinken.
    Ich werde wahnsinnig! Nein, ich bin es schon!
    Helena lächelte zaghaft. »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber Ihre Dusche läuft die ganze Zeit und ich kann einfach nicht schlafen. Nicht nach so einem Tag ...« Sie trat einen Schritt auf Edgar zu.
    Er wich zurück, erkannte im gleichen Moment auch ohne Brille, dass sie nicht Helena war, dass sie ihr nur zum Verzweifeln glich. Diese Frau war vermutlich doppelt so alt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Meine ...«
    Edgar erriet mit Schrecken, was sie gleichen sagen würde. »Nein!«, unterbrach er sie und schlug die Hand vor den Mund. Als ihm bewusst wurde, wie verdächtig diese Reaktion war, tat er so, als wische er sich nur über sein müdes Gesicht.
    »Entschuldigung«, murmelte sie und musterte ihn, der nur im Handtuch vor ihr stand.
    Sie hörten Schritte, die sich näherten. Es war der Hotelier bei seinem letzten Gang durch das Gebäude. »Probleme?«, fragte er.
    »Ja«, gab Edgar zu, »ich habe stundenlang geduscht. Ab sofort hört die Dame aber keinen Laut mehr von mir, ich schwöre es.«
    Sie lächelte gequält. Der Hotelier wünschte beiden eine gute Nacht.
    »Ich werde wahrscheinlich trotzdem kein Auge zumachen können«, sagte sie leise und wandte sich ihrer Zimmertür zu.
    Edgar lag im Bett und hatte noch ihre letzten Worte im Ohr, als es erneut an seine Tür klopfte. 23.10 Uhr. Er war ganz sicher, dass sie es war.
    »Entschuldigung«, begann sie. »Was müssen Sie von mir denken?«
    »Ich denke nichts«, beruhigte Edgar sie und raufte sich die Haare. »Dazu bin ich viel zu müde.«
    »Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie kurz draußen vor meinem Fenster nachsehen würden, ich bin mir ganz sicher, da schleicht jemand herum. Aber ich könnte auch verstehen, wenn Sie Nein sagen würden, ich bin wahrscheinlich nur völlig von der Rolle, weil meine ...«
    »Ist schon gut«, unterbrach Edgar sie schnell, er wollte nicht mehr hören, und langte nach seiner Wanderjacke an der Garderobe. »Ich sehe nach. Gehen Sie in Ihr Zimmer und schließen Sie ab. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich zurück bin.«
    »Danke«, murmelte sie. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
    »Keine Ursache«, meinte Edgar und ließ seine Tür offenstehen, während er ohne Socken in seine Straßenschuhe schlüpfte, seine Brille aufsetzte und seine Taschenlampe einsteckte. Er zog die Vorhänge an seinem Fenster nach einem bestimmten Muster auf, damit er sich draußen daran orientieren konnte.
    Sie war in ihr Zimmer verschwunden, als er auf leisen Sohlen den Flur entlang durch das Foyer um das Gebäude herum auf die Wiese trat, zu der die Fenster zeigten. Kalt und feucht war die Nacht. Edgar konnte seinen Atem sehen. Er zog die Jacke über der Brust zusammen. Auf seinen nackten Beinen stellten sich die Haare auf. Als er seine Taschenlampe einschaltete, dachte er an sein Jagdmesser, das in seinem Rucksack steckte. Er hätte es mitnehmen sollen. Für alle Fälle. Oder wenigstens seinen Wanderstock. Trotz Schlafanzug fühlte er sich nackt unter seiner Jacke.
    Das Gras war feucht und glitschig. Das Licht, das aus einigen Hotelzimmern fiel, zauberte hellgrüne Quadrate auf die dunkelgrüne Fläche. Edgar stapfte von einem Fleck zum anderen, näherte sich der Hauswand und leuchtete den Schatten aus. Er entdeckte einen schmalen Streifen niedergetretener Halme, undeutliche Fußspuren unter seinem Fenster, das er an den geöffneten Vorhängen erkannte, und dem seiner Zimmernachbarin. Als sei jemand hin und her gelaufen, vielleicht auch hochgesprungen, um in die Fenster hineinzusehen.
    Seine Nachbarin lugte durch einen Spalt zwischen ihren Vorhängen. Edgar schüttelte den Kopf und kreuzte die Finger, um sie zu beruhigen.
    Ein kleiner Rauchfaden stieg aus dem feuchten Gras auf und kringelte sich empor. Edgar richtete seine Taschenlampe darauf. Eine halb gerauchte Zigarette. Er trat sie aus, kehrte ins Hotel zurück.
    Die Frau von nebenan stand in der offenen Zimmertür.
    »Es ist nichts«, beruhigte er sie. Edgar durfte nicht auffallen. Wenn er den Hotelier informierte, würde der allein aufgrund der Ereignisse des Tages sofort die Polizei zurückrufen.

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