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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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sein, die an ihrem Auto gelehnt hatte. Sie hatte auf ihn gewartet. Sie musste der Lockvogel sein, obwohl sie eher ein seltener Paradiesvogel zu sein schien.
    »Wo geht’s denn hier nach Mirbach?«, krähte sie und fuchtelte mit ihren Wanderstöcken durch die Luft. Sie sprach lauter als nötig.
    »Wer sind Sie ...?«, fragte er.
    »Rechts, links oder geradeaus?«
    »Geradeaus über die Landstraße und da den Berg hoch. Sind Sie ...?«
    »Zeigen Sie es mir doch mal auf der Karte, ja?«
    Sie hielt ihm ihre Karte hin, er versuchte die Enden zu fassen zu bekommen. Sie beugten sich darüber und steckten die Köpfe zusammen.
    »Sind Sie …?«, begann er, während er mit dem Finger den Eifelsteig entlangfuhr.
    »Psst!« Sie zog die Sonnenbrille ab.
    Sie war nicht irgendeine Polizistin, sie war die Kommissarin selbst. Die Hauptkommissarin, die ihn in Blankenheim im Hotel Talblick verhört und ihm vor Augen geführt hatte, was Stalking ist. Ihren Namen hatte er wieder vergessen.
    Sie schob die Brille wieder auf die Nase, richtete sich auf und rief so laut, dass es jeder Vogel mitbekam: »Gehen Sie auch nach Mirbach?«
    Er nickte irritiert.
    »Das ist ja praktisch. Da könnten wir doch zusammen gehen, was meinen Sie?«
    »Von mir aus«, murmelte er.
    »Wunderbar!«, und mit gesenkter Stimme fuhr sie fort. »Sie sind spät. War irgendetwas?
    »Nein«, antwortete Edgar. »Es ist nichts passiert. Ich hatte nur nicht mehr die rechte Lust.«
    »Das kann ich mir vorstellen.« Sie faltete die Wanderkarte unsachgemäß zusammen, stopfte sie in ihre Jackentasche, schob die Hände in die Schlingen ihre Wanderstöcke und mit den Worten: »Bringen wir es hinter uns!« stapfte sie los. Ohne links und rechts zu blicken überquerte sie die Landstraße, auf der es links nach Ripsdorf und Blankenheim ging, und rechts nach Alendorf und Jünkerath.
    Vor dem Denkmal eines jungen Verkehrstoten am Straßenrand schüttelte sie den Kopf, vor der ersten Station des Kreuzweges, einer Hinrichtungsgruppe aus Sandstein, tat sie es wieder. Beim ersten Mal entsetzt, beim zweiten Mal verständnislos. Danach erstürmte sie den Kalvarienberg, als hätten sie eine Wette abgeschlossen, wer zuerst oben war.
    Edgar, der nie wieder wetten würde, ließ sie rennen. Er riss einen Zweig eines einzeln stehenden, mannshohen Buschs ab, zerrieb ihn zwischen den Fingern und schnupperte daran. Indifferenter Duft, nicht besonders prägnant. Den Nadeln nach musste es der Wacholder sein, von dem er gelesen hatte, dass er hier zuhauf wuchs und die Alendorfer ihn zum Räuchern ihrer berühmten Schinken verwendeten. Die schwarzblauen Beeren fürs Sauerkraut und den Schnaps würde der Wacholder erst im Herbst tragen.
    Die Spur des Eifelsteiges verlor sich auf dem mageren Rasen, der aussah, als sei vor Kurzem eine Schafherde über ihn hinweggezogen und habe nur den Wacholder abgelehnt und hier und dort eine Orchidee oder eine Glockenblume vergessen. Schmetterlinge segelten im Tiefflug über den verbliebenen Blütenbestand.
    Die Kommissarin lief weit vor Edgar in einem Zickzack-Muster von einer Kreuzwegstation zur nächsten und rief dazu Kommentare gegen den Wind, die er nicht verstehen konnte. Sie hatte einen sportlichen Schritt, und er fragte sich, wie lange sie das Tempo durchhalten könne und welche religiöse Orientierung sie habe.
    Unweit des Gipfelkreuzes war einer der vielen »Eifelblicke« eingerichtet worden, eine Info-Tafel und eine futuristisch anmutende Sitzgruppe aus Holz und ein Panoramablick, der bis in die Vulkaneifel reichte. Die Kommissarin hatte sich bereits malerisch auf einer der beiden Holzliegen niedergelassen und erwartete ihn.
    »Wo bleiben Sie denn?«
    Er setzte sich ihr gegenüber auf die andere Liege. Sie hatte ihre Jacke geöffnet und er sah, dass sie darunter eine olivgrüne, dick gepolsterte Weste trug. Eine schusssichere Weste. Da wurde ihm bewusst, wie gefährlich es für sie war, hier oben mit ihm zu sitzen.
    Aber sie schien ganz unbekümmert die Aussicht zu genießen, die sich rundherum bot. Wolkenschatten zogen über die sanften Täler und Hügel, die die Farbe grün in allen Schattierungen präsentierten. Ein Summen lag in der Luft. Ein Duft von Kräutern und Gras. In der Ferne knatterte ein Motorrad oder ein Traktor. Und irgendwo läuteten die Glocken. Ein Bild nach dem Geschmack des Tourismusverbandes? Nicht ganz.
    »Sehen Sie mal.« Die Kommissarin zeigte auf die Wolken, die schnell von allen Seiten heranzogen, auch aufbauschten und jene

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