Tote gehen nicht
während sie ihm von ihren gemeinsamen Ermittlungen in Einruhr erzählte. Sie erwähnte nicht, dass Sarah beim Anblick der Helena Finn beinah eingeknickt wäre, sondern wie souverän sie das Verhör der Hotelangestellten begleitet hätte. »Sie war cool.«
»Cool?«, fragte Wesseling ohne hochzublicken.
»Taff, wenn dir das lieber ist. Sie würde bestimmt gern den Lockvogel spielen, denke ich.«
»Ist mir zu gefährlich.« Wesseling probierte vorsichtig ein Stück Fleisch. »Rita Funke scheint nicht zimperlich zu sein.«
»Aber Brummer, Neugebauer und ich werden in der Nähe sein und aufpassen wie die Schießhunde.«
»Alle! Roggenmeier auch. Selbst ich«, meinte er und kaute zufrieden.
Großeinsatz also, dachte Sonja anerkennend. »Wenn du dabei bist, kann doch nichts schiefgehen.«
Er musterte sie misstrauisch, und als er glaubte, keinen Arg in ihren Augen entdecken zu können, meinte er: »Na gut. Riskieren wir es. Sieht so aus, als hätten wir keine andere Wahl. Klärst du das mit ihr?«
»Von Frau zu Frau?«
»Je nun.«
Später angefangen, war sie doch früher mit dem Essen fertig als er, der von jeder Sorte etwas liegen ließ. Sie schielte auf das Gemüse, grüne Prinzessböhnchen. Als er sie kurz allein ließ, naschte sie sie auf.
Als sie das Hotel verließen, hielten sie nach der Hundertschaft Ausschau. Sie war unsichtbar, dennoch war es fast körperlich zu spüren, dass sie präsent war. So sollte es sein. Auf dem Parkplatz vor ihrem neuen Dienstwagen, den Wesseling in der Dunkelheit kaum beachtete, lud Sonja ihn auf ein Glas ins Forsthaus ein, in der Gewissheit, er würde es abschlagen, weil es schon spät war, ihre Ziele diametral lagen, sie beide früh aufstehen mussten und sie den längsten 14. Mai aller Zeiten hinter sich hatten.
13. Kapitel
15. Mai, 8.50 Uhr Gerolstein-Hillesheim-Mirbach
Das Lampertstal, ein Naturschutzgebiet und Nebental der Ahr, eben und flach, war anfangs schmal und wurde mit jedem Meter breiter und ausladender und war zu beiden Seiten von Mischwald gesäumt. Eine idyllische, menschenleere Wegstrecke, die rechter Hand vom Lampertsbach begleitet wurde.
Dr. Lutz Winkelmann entdeckte gegenüber einer kleinen Brücke an einer Wegkreuzung und einer Infotafel eine Bank, die er erschöpft ansteuerte. Er hatte eine Doppeletappe hinter sich und das Gefühl, er sei sie gewandert und nicht, wie alle anderen Etappen zuvor, gefahren.
Heute war der Tag, an dem er auf Edgar treffen würde. Auch wenn alle Etappen zusammengenommen am Ende das Ergebnis bestimmten, war es doch enorm wichtig für ihn, gerade heute schneller als er zu sein.
Lutz hatte nicht richtig schlafen können und war am Morgen zu unchristlicher Zeit in Gerolstein aufgebrochen und weiter als Mirbach, dem Halbzeit-Ort, gefahren. In Alendorf hatte er auf einem Seitenweg seinen Spitfire stehen lassen und am Lampertsbach entlang fast zwei Kilometer zu Fuß zurück bis zu dieser Bank gehen müssen. Das alles nur, um auf der ganz sicheren Seite zu sein.
Auf der Infotafel war die Rede von einem Verlierbach und einem Schluckloch, beides interessierte Lutz so gut wie gar nicht. Er ließ sich auf der Bank nieder, sah auf die Uhr, 8.50 Uhr. Er blickte sich um. Nichts. Niemand. Er war allein. Er nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche, zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück, sah in den Himmel und verfolgte den Zug der Wolken.
Er hatte, wie mit Edgar vereinbart, wie jeden Tag zuvor lustlos aber akribisch von allen wichtigen Wegweisern und Streckenpunkten Fotos gemacht. Zwischen Gerolstein und Hillesheim waren das unter anderen Löwenburg, Papenkaule und Buchenlochhöhle gewesen, zwischen Hillesheim und Mirbach Stadtmauer, Burg Kerpen und Dreimühlen-Wasserfall. Dazu war er kreuz und quer über die Landstraßen gehetzt, um zu den Sehenswürdigkeiten jeweils möglichst wenige Schritte gehen zu müssen.
Alles war im Kasten. Er war seinen Weg gegangen. Und jetzt saß er hier auf der Bank, und von Edgar war noch keine Spur. Wie auch? Er war vermutlich gerade erst gestartet.
Lutz’ Plan war aufgegangen.
Er war Erster.
Er würde Chefarzt in der Klinik am Wald werden, obwohl er das ursprünglich nicht hatte werden wollen.
14. Kapitel
15. Mai, 8.50 Uhr Blankenheim-Mirbach
Dr. Edgar Schramm fand in Blankenheim den Einstieg zum Eifelsteig auf der Ahrstraße gegenüber der Hausnummer 49/51. Zusammen mit dem Jakobsweg und dem Eifeler Quellenpfad führte er von dort teilweise über Treppen aus dem Ort
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