Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
mich nicht gleich auf sie einlassen könne.
«Es geht hier nicht darum, ob ich mich auf dich einlasse oder sonst einen lasse, und es geht auch nicht darum, ob du Mutter für dement hältst oder auch nicht, sondern es geht um unseren verschwundenen Vater», donnere ich ihr nun ernsthaft sauer entgegen.
«Ja, aber genau das hat ja mit Mutter zu tun», spricht Ulrike in breitgezogenen Worten weiter. «Henny-Boy, reg dich jetzt nicht auf, wenn ich dir sage, dass sie schon etwas wirr daherredet. Sie phantasiert ständig so ein wirres Zeug. Sie faselte davon, auf Vater und dich sei in Berlin geschossen worden. Und wenn ich ihr dann sagte, dass das völliger Quatsch ist, dass sie sich das nur einbildet, dann wird sie richtig pampig. Fast so aggressiv wie du gerade. Kannst du dir das vorstellen?»
Und dann steht urplötzlich eine Voodoopuppe in der Wohnzimmertür. Es ist meine noch immer mit Nadeln im gesamten Körper verschandelte Mutter. Sechs im Ohr, zwei am Hals, acht an den Händen, 56 an den Unterarmen und 265 438 an den Füßen.
«Muuddili», jault Ulrike, wuchtet ihren Körper aus dem elterlichen Sessel und stürzt auf sie zu. «Du musst doch liegen bleiben.»
Meine Mutter sagt mit klarem Blick und fester Stimme: «Ich hatte gerade die Befürchtung, du hättest mich vergessen.»
«Aber nicht doch, Muddischatz», singt Ulrike in entmündigendem Tonfall. «Wie könnte ich dich vergessen?»
«Sachma, wie redest du denn mit mir?», schnarzt Mutter sie nun scharf an, und auch ich zucke zusammen, da es ein Tonfall ist, den ich seit meiner Pubertät nicht mehr zu hören bekommen habe. «Jetzt machma halblang. Du tust ja so, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank! Schluss jetzt damit, auch mit diesem Nadelquatsch hier. Mach die mal raus da, verdammt noch mal!»
Ulrike verlässt mit meiner erkennbar undementen Mutter das Wohnzimmer, in dem ich noch eine Weile regungslos sitzen bleibe. Die Invasion meiner Schwester, das wird mir klar, hat einen großen Vorteil: Ich muss mich nicht alleine um Mutter kümmern, und solange Ulrike hier bei ihr ist, muss ich sie auch nicht zu uns nach Bad Salzhausen holen.
Es ist spät geworden, Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Ich rufe kurz nach oben, dass ich erstens nach Hause zu den Kindern müsse, zweitens alles wieder gut werde und ich drittens morgen anrufen wolle.
Von oben dringen nur die Schmerzenslaute meiner Mutter.
Auf meiner Mailbox warten zwei Nachrichten, die ich gleich auf der Heimfahrt abhöre. Irgendwann, nehme ich mir währenddessen vor, irgendwann werde ich mir mal diese Freisprechanlage besorgen. Auf Dauer kommt es einfach nicht so gut, wenn ein Polizist mit Handy am Steuer durch die Gegend braust.
Die erste Nachricht stammt von Miriam. Sie hätte Neuigkeiten, die sie gerne, wenn möglich noch heute, mit mir besprochen hätte. Danach teilt Manni Manfred Kreutzer in gut sieben Minuten mit, dass er meinen Vater bis dato leider nicht gefunden habe, ich mir zum Trost aber sein neuestes Video auf YouTube anschauen dürfe …
Ich verzichte auf diesen Trost und rufe Miriam an.
«Gut, dass du anrufst», keucht sie ins Telefon. «Hier ist die Hölle los. Gummer wurde tatsächlich umgebracht.»
Ich fahre sofort auf die Seite. «Ach du Scheiße, seid ihr sicher?»
«Ja, zu 98 Prozent. Es wurde nach der Exhumierung und neuerlichen Obduktion festgestellt, dass Gummer durch Ersticken starb. Das hat dann den zunächst diagnostizierten Herzstillstand ausgelöst», erklärt Miriam.
Das bedeutet nichts Gutes für meinen Vater. Da muss es ja einen Zusammenhang mit den Schüssen auf dem Friedhof geben. Mir wird übel.
«Und da man davon ausgehen muss», fährt Miriam fort, «dass Viktor Gummer sich nicht selbst erstickt hat, war es eindeutig ein Tötungsdelikt.»
Wir beenden das Gespräch, ich steige aus dem Auto, höre wieder nicht mit dem Rauchen auf und puste verzweifelt grauen Rauch in die Vogelsberger Luft.
Kapitel 9
M it solch einer Intensität haben wir in der Polizeidirektion Alsfeld noch nie gearbeitet. Jedenfalls nicht, seitdem ich hier Hauptkommissar bin. Nach dem ehemaligen Polizeipräsidenten wird nun hochoffiziell gefahndet. Suchtrupps sind losgeschickt und die Medien informiert. Sein Foto wird morgen in allen regionalen Zeitungen erscheinen, und ganz Oberhessen soll bitte fieberhaft meinen Vater suchen.
Sehr bald wird uns eine Vielzahl von eifrigen Bürgerhinweisen überschwemmen, von denen leider Gottes die allerwenigsten hilfreich
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