Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
«da habe ich dich hier rumlaufen sehen.»
Völlig durchgeschwitzt krame ich nach einem Taschentuch, um mir die Stirn zu trocknen.
Die Dings trägt das gleiche Sommerkleid wie beim Klassentreffen. Sie lächelt mich unsicher an.
«So, egal jetzt», sage ich, ohne genau zu wissen, was ich eigentlich egal finde, «ich muss jetzt nach Hause. Wo steht denn dein Auto? Ich bring dich hin.»
«Ach duuu, das ist lieb, hihi», sagt sie. «Aber ich denke, ich bleib hier noch ein bisschen.»
«Du willst hier alleine mitten in der Nacht herumlaufen?» Mein Ton ist gereizt. «Findest du nicht, dass das ein bisschen gefährlich ist?»
Die Dings lacht abschätzig auf. «Ach, mir passiert schon nichts, wer will denn schon jemanden wie mich vergewaltigen? Hihi.»
Solch eine dämliche Bemerkung habe ich selten gehört. Ich ignoriere das, will aber nicht zulassen, dass sie hier alleine zurückbleibt, und dränge sie genervt, mitzukommen. Sie gibt schließlich nach, und wir laufen beide in Richtung Ort.
«Du bist sauer, ne?»
«Nein, bin ich nicht», lüge ich.
«Jetzt habe ich es bei dir auch verkackt …»
«Nein, wieso? Hast du nicht …»
«Doch!»
Ich belasse es dabei und frage erneut, wo ihr Auto steht. Doch sie reagiert nicht auf meine Frage, sondern fährt mit ihren nervtötend bizarren Selbstbezichtigungen fort: «Suuuuper, Rike, das hast du wieder prima hinbekommen. Da mag dich mal jemand ein bisschen, und du versaust es gleich.»
Rike, ja, so war das, natürlich, Rike heißt sie. Passt prima. Nun weiß ich endlich wieder ihren Namen, doch wer hat bitte jemals behauptet, dass ich sie mag?
«’tschuldige bitte noch mal, Henning, ich mach grad ne schwere Phase durch. Da steh ich manchmal ein bisschen neben mir. Meine beste Freundin ist vor kurzem an Krebs gestorben. Ich hab sie bis zum Schluss begleitet, als sie nur noch Haut und Knochen war. Ich muss das alles noch verkraften. Und da ich das alles mit mir selbst ausmachen muss, bin ich halt manchmal ein bisschen schwierig und gehe allen noch mehr auf die Nerven als sonst, ich weiß.»
Da tut sie mir plötzlich wieder ein bisschen leid.
«Ist schon in Ordnung, bin halt heute auch etwas, na ja, angespannt.»
«Du Armer», sagt sie und streicht mir dabei den Oberarm.
Inzwischen bin ich fast zu Hause angekommen.
«So, ich muss jetzt», sage ich und deute auf unsere Doppelhaushälfte.
Rike lächelt und greift nach meiner Hand. Ich traue mich nicht, sie ihr gleich zu entreißen.
«Darf ich dich mal drücken?», fragt sie dann. Auch das noch.
«Von mir aus», antworte ich entkräftet. Warum auch nicht? Wer drückt mich denn schon sonst im Moment?
Die kleine schmale Rike drückt ihren Körper fest an mich. Es tut tatsächlich ein bisschen gut, so merkwürdig sie auch ist. Als unsere Unterkörper etwas zu nah aneinandergeraten, gelingt es mir, sie vorsichtig und sachte von mir wegzuschieben.
«Das war schön», sagt sie. «Danke.» Dann dreht sie sich um und zieht von dannen.
Als Miriam Meisler vorschlug, an diesem späten Sonntagabend gemeinsam zu «skypen», wollte ich auf keinen Fall zugeben, dass ich das gar nicht kann. Ich weiß natürlich schon grob, was das ist, aber wie es funktioniert, keine Ahnung.
Ich habe eben keine Freunde oder Familie in Südamerika, und eigentlich muss ich beim Telefonieren auch niemanden sehen.
Dass ich jetzt gleich also das erste Mal skype, geht die Wahlberlinerin Miriam schon mal gar nichts an. Ich habe kein Interesse, Vorurteile gegenüber rückständigen Oberhessen in irgendeiner Form zu bestätigen.
So bitte ich Melina unterwürfig, mir dieses Skype auf meinem Notebook zu installieren. Ich sage, dass sie sich ruhig Zeit lassen könne, da ich ohnehin einkaufen müsse. Noch bevor ich diesen Satz zu Ende gesprochen habe, ist sie fertig.
«So!», sagt sie knapp. «Kannst loslegen.»
Drei Stunden später erscheint also Miriam auf meinem Bildschirm. Zu Beginn irritiert es mich sehr, dass ich mich dabei auch selbst sehen muss. In einer Mischung aus Narziss- und Masochismus blicke ich mehr auf mein müdes abgespanntes Gesicht als auf die lebendige junge Miriam.
«Es kann doch nicht sein, dass sowohl der Fichtenau als auch dein Vater vom Erdboden verschwunden sind», sagt meine ehemalige Kollegin.
«Es macht mich wahnsinnig!», jammere ich.
Nachdem die Berliner Polizei die Suche nach meinem Vater zunächst weitgehend uns, den hessischen Kollegen, überließ, in der Hoffnung, ihn in unserer Region aufzufinden, hat
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