Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
und den Ermittlungen weiß. Ich erzähle, dass sie von ihrem Vater geschlagen wurde, ihr Bruder sie auf Schritt und Tritt verfolgt hat, sie sich von ihm belästigt fühlte und dass sie natürlich ihn und nur ihn, den Maik, abgöttisch liebte. Während ich all diese Fakten blumig verpackt erzähle, geht es gar nicht mehr darum, ob es realistisch ist, dass ich all das von ihr weiß. Ihm geht es ganz allein darum, etwas von Kirsten, von seiner Kirsten zu hören.
«Guck mal hier», sagt er und zeigt mir seinen linken kleinen Finger, der nicht ganz da ist, wo er hingehört. «Das war ihr Bruder, der Jochen. Hat ihn mir gebrochen, da war ich zehn, ist nie wieder richtig zusammengewachsen.»
«Oje», bemerke ich so mitfühlend wie irgend möglich.
«Der hat mich nie in Ruhe gelassen, ist mir immer nachgestiegen. Die ganze Scheiß-Kindheit, Mann. Guck mal hier …» Nun zeigt er mir an seinem Oberarm Dutzende kleine Brandnarben.
«Er hat mich immer Aschenbecher genannt.»
Wieder sage ich: «Oje.»
«Jeden Donnerstag hat er mich abgefangen. Donnerstag ist Quältag, hat er immer gesagt.»
Dann, urplötzlich schreckt er hoch, greift wieder nervös zur Waffe und fuchtelt mit ihr vor mir herum.
«Hör doch auf damit», fahre ich ihn an. «Guck mal, Maik, wenn meine Kollegen tatsächlich wüssten, wo ich bin, dann wären sie doch schon längst hier. Oder nicht?»
Fichtenau hält inne, rennt hastig aus unserem Kellerzimmer und die Treppe wieder hinauf.
Ich atme durch, wie ich in meinem ganzen Leben noch nicht durchgeatmet habe.
«Gtt», höre ich aus Vaters Ecke.
«Wie bitte?»
«Gut!»
Ich frage ihn, was denn gut sei.
«Na, du.»
«Ach, ich? Oh … äh. Ja? Echt? War ich das? War ich wirklich gut?»
«Du hast dem Burgholtz da drüben das Leben gerettet.»
Habe ich das wirklich? Habe ich die Qual nicht nur damit verlängert? Für ihn? Für uns alle?
«Mach weiter, Henning», sagt mein Vater und nickt dabei unaufhörlich mit seinem Kopf. «Du hast es. So knackst du ihn, so kannst du hergehen und ihn in den Griff bekommen.»
«Meinst du wirklich?»
«Ja. Ich habe die Kraft dazu nicht mehr. Du hast sie. Mach weiter, Junge.»
Nun bin ich es, der dem Blick meines Vaters nicht standhalten kann.
«Mach weiter» – das habe ich niemals vorher von ihm gehört. Meistens war es eher ein «Ach hör doch auf».
Nach einem weiteren kurzen Hustenanfall sagt er: «Ich hab dich nie dazu gezwungen, das weißt du.»
«Dass ich hierhergekommen bin?», frage ich. «Natürlich nicht, wie auch? Außerdem wusste ich wirklich nicht, dass du hier bist …»
«Nein, das mein ich nicht», krächzt er mir asthmatisch ins Wort. «Ich habe dich nie gezwungen, herzugehen und Polizist zu werden.»
«Ach so», flüstere ich. «Ja, das weiß ich, Papa. Mir ist auch nicht klar, was ich mir dabei gedacht habe.»
Da lacht er über mich. Aber auf eine Weise, die es mir leicht macht, mitzulachen. Wenn ich ihn so anschaue, wie er da so liegt, wird mir wieder einmal klar, dass ich ihn bis heute eigentlich nicht wirklich kennengelernt habe. Als vierzigjähriger Mann findet man sich mit so etwas ab, doch seltsam bleibt es wohl ewig. Franziska sagte einmal, dass ich wohl zur Polizei gegangen sei, um meinem Vater doch noch nahe sein zu können. Ein Irrweg, wie ich heute weiß, und beweisen konnte ich ihm dort schon gar nichts. Nur jetzt, vorhin, da habe ich ihm etwas beweisen können. Da habe ich ihn beeindruckt. Doch es ist mir egal. Ich will nur raus aus diesem Keller, darum geht es und nicht darum, hier auf irgendeine verschrobene Weise meine verkorkste Vaterbeziehung aufzuarbeiten. Dafür ist es einfach zu spät.
«Gibt es hier auch mal was zu essen?», frage ich ihn.
«Ja, Wurst.»
«Wurst?»
«Wurst.»
Vater erklärt mir, dass Burgholtz wohl vor einiger Zeit bei einem befreundeten Landwirt in Grebenhain bei einer Hausschlachtung geholfen hat, und so gäbe es nun mal Wurst. Sehr viel Wurst.
«Wenn ich hier doch noch rauskommen sollte», äußert mein Vater erstmalig etwas Hoffnungsvolles, «dann gehe ich her und werde Vegetarier, das sage ich dir, Henning.»
Diesmal muss ich lachen. Vater schmunzelt leise mit.
«Wenn ich mich bei dir entschuldige oder so was in der Art, Sohn, dann bringt das ja auch nichts, nicht wahr?»
Ich blicke ihn fragend an.
«Doch, ich habe da mit dem Gummer schon Mist gebaut damals. Wir waren halt, wie soll ich sagen, etwas zu ungestüm, um die Wahrheit aus diesem Idioten herauszupressen.»
Ich
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