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Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)

Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Flipo
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alleine auf der Bühne, auf einem Thron, verkleidet als Monarch in einer goldenen Tunika, die ihm viel zu groß ist, mit einer Perücke und einer Krone. Die Kokos und Kikis mimen die Revoluzzer. Alle dürfen ihn beschuldigen und dumme Witze machen, wie in einer Posse. Für sie ist das auch eine Gelegenheit, ihren Frust abzulassen. Sogar die Chéris dürfen daran teilnehmen. Dann kommt ein Henker, es folgen Revolutionslieder, ein Donnerschlag, eine Rauchwolke vom bengalischen Feuer, und dann ist es so, wie der Brigadier erzählt hat: Man entdeckt King, aufgeknüpft am Galgen. Natürlich ist das nur eine Strohpuppe, der man die goldene Tunika angezogen und eine Maske aus Latex aufgesetzt hat, die halb von der Perücke und der Krone verdeckt wird. Es werden Bambusstöcke an die Chéris verteilt, damit sie auf den Gehängten einprügeln dürfen, wenn sie möchten. Meistens möchten sie. Verstehen Sie?«
    Natürlich verstand Viviane. Sie malte sich aus, wie die Chéris das laut jubelnde Volk spielten, dafür mussten sie sich wohl nicht einmal anstrengen. Die Maulhelden und Fanatiker in der ersten Reihe, in der zweiten die Feigen und Frustrierten, danach kam die gehorsame Masse, die nach und nach in Rage geriet. Sie malte sich sogar die ganze Menschheit aus, sämtliche Revolutionen. Es stiegen altbekannte Gefühle von verdrängter Abscheu in ihr auf, sie wusste gar nicht wogegen. Sie musste diese schlechten Gedanken verscheuchen, sie war hier, um zu ermitteln. » Und dann?«
    » Dann geht es aus, wie jede Revolution ausgeht: noch ein Donnerschlag, mehr bengalisches Feuer, die Masse weicht zurück, aus der Anlage ertönt ein Tedeum; und der auferstandene King taucht oben im Amphitheater auf, verkleidet als Napoleon, die Hand in der Weste und in weißen Beinkleidern. Die Revolutionäre stehen still, Napoleon mustert sie, kneift sie ins Ohr und alles endet mit einem großen Ball im Stile des Kaiserreichs.«
    » Ein schönes Schauspiel mit einer starken, philosophischen Botschaft, nicht wahr, Willy?«
    Der Lieutenant zog vorsichtig einen Flunsch und fuhr fort: » Nur, dass nichts so war wie sonst: Die Vorführung hatte am Abend direkt mit dem gehängten König begonnen, und es gab am Ende auch keinen Napoleon, und zwar aus gutem Grund.«
    » Und was war den Nachmittag über los gewesen?«
    » King saß schon auf seinem Thron, als Monarch verkleidet. Er hat die Kokos und Kikis nacheinander vor der Bühne antreten lassen. Die Unterredungen mit den Einzelnen waren kurz. Er hat bei jedem das Haar in der Suppe gesucht, aber nicht lange. Sein eigentliches Interesse galt Königin. Ihren Freundschaften. Ihren heimlichen Vorlieben. Er hat ihnen hinterlistige Fragen gestellt in der Art: ›Und wenn sie erneut heiraten sollte, mit wem würde sie das deiner Meinung nach tun?‹ Alle haben ihr Fett abbekommen; ich weiß nicht, in welcher Reihenfolge sie bei ihm waren, aber der Türke wird uns das sagen können. Er hat den ganzen Nachmittag entlang der großen Treppe, die zum Amphitheater führt, Blumen gepflanzt. Alle mussten an ihm vorbei. Wir sollten ihn befragen.«
    » Gute Idee, Willy, aber wir werden eine Dolmetscherin brauchen. Königin könnte das machen, ich werde sie heute Abend fragen. Und die Kokos und Kikis, was halten die von der Geschichte?«
    » Bedauert wird King von niemandem. Bei Königin ist man schon zurückhaltender. Was Animateur-Koko angeht: Den finden alle nett, witzig, aber karrieregeil.«
    » Gut, Willy! Sie haben in der kurzen Zeit schon viel herausgefunden.«
    » Danke. Darf ich noch etwas Unangenehmes sagen?« Ohne Vivianes Antwort abzuwarten, fuhr er fort: » Königin hatte Ihr Kommen angekündigt. Alle Kokos wissen, dass Sie Drehbuchautorin sind, auch einige Chéris. Animateur-Koko erzählt sogar schon herum, dass Sie fürs Fernsehen arbeiten; das ist zwar perfekt, aber man wird es merkwürdig finden, wenn Sie mit niemandem reden. Eine Drehbuchautorin, die Material sammelt, geht auf die anderen zu.«
    Der Hieb saß. Das hatte sie davon, dass sie so nett war; nun meinte er, sich alles herausnehmen zu dürfen. Sie suchte nach einer fiesen Retourkutsche, aber ihr fiel nichts ein. Ihr Lieutenant hatte ja recht. Im Übrigen stimmte es, sie hatte noch niemals auch nur die geringste Lust verspürt, auf andere zuzugehen. Sie war es gewohnt, die anderen aufs Revier zu bestellen, mit einem Gerichtsbeschluss bei ihnen einzufallen, sie zu befragen. Nicht, auf sie zuzugehen. Jemandem auf Augenhöhe begegnen, das konnte

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