Tote liegen nicht am Strand: Roman (German Edition)
annehmen, Viviane. Zählen Sie jedenfalls nicht auf mich.«
» Ich zähle auf Sie«, sagte sie, » aber um die beiden zwei Minuten zu bewachen. Ich habe die Waffe bei mir vergessen. Ich vertraue sie Ihnen an.« Sie rannte zu ihrer Lodge, fuhr mit der Hand über den Schrank, ganz hinten, rechts, links, aber da war nur Staub. Sie stieg auf einen Stuhl und musste der Tatsache ins Auge sehen. Man hatte ihren .45-Colt gestohlen.
Hinten im Schubfach fand sie die Kugeln, was sie kaum tröstete. Man hatte ihr nur den Colt samt Schalldämpfer gestohlen, allerdings war das Magazin fast voll gewesen: Darin befanden sich sechs Kugeln.
Sie steckte ihr Handy ein, das sie für die Auslieferung auf dem Meer brauchen würde. Das Display zeigte ihr eine Nachricht auf der Mailbox an. Sie hörte sie ab, dann noch einmal, sie war am Boden zerstört: Es war der Allmächtige.
Aufgrund eines Impediments würde die ganze Sache um vierundzwanzig Stunden verschoben.
Viviane hatte noch nie etwas von einem Impediment gehört. Das musste eine Art seltener und edler Krankheit sein, die nur den Ranghöchsten einer Hierarchie vorbehalten war. Sie fand, es war eine äußerst schmerzhafte Krankheit.
Kapitel 21
Sie würde Königin und Animateur-Koko also vierundzwanzig Stunden lang unauffällig in ihrer kleinen Welt festhalten müssen, von der sie sich keine zwanzig Minuten entfernen konnten, ohne ein weiteres Drama zu riskieren. Was sollte sie den Kokos und Kikis sagen? Wer würde das Dorf so lange leiten? Sie rief den Allmächtigen an, obwohl es schon spät war, erreichte aber nur den Anrufbeantworter.
Plötzlich erschien ihr alles sehr kompliziert. Jetzt war ein einfacher, robuster Verstand gefragt: Willy war der Mann dieser Stunde.
Der Lieutenant hörte sich ihre Erklärungen an und reagierte gelassen. Natürlich, sie seien nicht bewaffnet, aber außer dem Dieb könne das niemand wissen. Darüber hinaus hindere sie nichts daran, auf andere Waffen zurückzugreifen, die im Club vorhanden seien. Eine Axt, eine Forke, eine Sense. Sogar ein Speer. Sicher, vierundzwanzig Stunden seien eine lange Zeit. Aber dann doch nur ein Tag und eine Nacht. Sie würden zunächst die Nacht in Angriff nehmen, und bei Tagesanbruch solle die Kommissarin den Allmächtigen anrufen und um weitere Instruktionen bitten.
Willy schlug Viviane vor, im Segel-Bungalow vorbeizugehen und dort seinen Speer und Seile zu holen, um die Gefangenen zu fesseln; und danach schickte er sie noch ins Gärtnerhäuschen, um sich dort eine Waffe ihrer Wahl auszusuchen. Sie könne sich Zeit lassen, er würde Wache schieben.
Alles ging Schlag auf Schlag.
Ihre Wahl fiel auf die Axt, und im Segel-Bungalow fand sie den Speer und extrastarkes Klebeband. Willy beglückwünschte sie, als wäre er der Kommissar und sie eine Praktikantin. Der Typ würde als Polizeidirektor enden, so viel war klar. Die Situation war seltsam, das Kräfteverhältnis nicht wie gewöhnlich, aber ihr war es recht. Im Moment.
» Ich übernehme die erste Schicht bis 4 Uhr. Dann kommen Sie mich ablösen. Sind Sie einverstanden?«
» Ja, danke, Willy. Meine Lodge ist nur fünfzig Meter entfernt, wenn es Ärger gibt, rufen Sie mich, ich komme sofort.«
Viviane legte sich hin, konnte aber nicht einschlafen. Sie war aufgedreht und konnte sich kaum beruhigen. Selbst ein Bounty-Riegel hätte jetzt keine Abhilfe geschafft. Aber sie wusste etwas Besseres: Sie rief Monot zu Hause an.
Er meldete sich mit einem derart unwirschen » Hallo«, dass sie befürchtete, ihn in galanter Gesellschaft gestört zu haben. Aber nein, er sei gerade nur unsanft geweckt worden. Er wiederholte das mit der Betonung auf dem Verb:sie habe ihn geweckt.
» Entschuldigen Sie, Monot. Der Allmächtige hat mir eine Nachricht hinterlassen, die ich nicht verstehe. Ein Impediment, was ist das?«
» Eine Verhinderung, Commissaire, Komplikationen. Vom lateinischen impendere: drohen, bevorstehen. Ist das alles?«
» Ja, wenn ich schon dabei bin, möchte ich Sie noch um einen, vielleicht unpassenden, Gefallen bitten. Könnten Sie mir das Gedicht vorlesen, das Sie mir neulich aufgesagt haben, das von Apollinaire?«
Er suggerierte ihr, es doch im Internet zu suchen, oder es sich per Mail zuschicken zu lassen. Er begriff gar nichts, der Trottel, das Spiel war ihm fremd, sie würde es ihm schon beibringen. Sie beharrte darauf, bis er brummig aufstand, zwei Minuten später wiederkam und mit seiner klangvollen Stimme zu lesen begann:
Mein sehr lieber kleiner
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