Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
ja mal die Dateien der SQ durchforsten. Dazu habe ich die Befugnis. Was wollen Sie wissen?«
»Alles.«
»Und was können Sie mir geben?«
»Nur einen Namen.«
»Sonst noch was?«
»Nein.«
»Wie lautet der Name?«
»Fortier. Leo Fortier.«
»Ich rufe Sie zurück. Wo sind Sie jetzt?«
Ich gab ihr meine Nummer und legte auf.
Dann lief ich ruhelos in der Wohnung umher. Meine Angst um Katy brachte mich fast um den Verstand. War es Fortier? Hatte er seinen psychotischen Haß auf mich gerichtet, weil ich seine Pläne durchkreuzt hatte? Hatte er aus diesem Haß heraus meine Freundin getötet? Plante er, auch mich umzubringen? Und meine Tochter? Woher wußte er überhaupt, daß ich eine Tochter habe? Hatte er das Photo von Katy und mir bei Gabby gestohlen?
Eine lähmende Angst breitete sich in meinem Inneren aus. Ich hatte dunklere Gedanken als je zuvor im Leben, stellte mir Gabbys letzte Minuten vor, malte mir aus, wie sie sich gefühlt haben mußte. Das Klingeln des Telefons riß mich abrupt aus meinem düsteren Brüten.
»Ja!«
»Hier ist Lucie Dumont.«
»Ja«, sagte ich noch einmal. Mein Herz klopfte so laut, daß ich mich fragte, ob Lucie es wohl hören konnte.
»Wissen Sie, wie alt dieser Leo Fortier ist?«
»Hm… zwischen dreißig und vierzig würde ich sagen.«
»Ich habe hier zwei Leo Fortiers. Der eine ist am 9. Februar 62 geboren, ist also etwas mehr als zweiunddreißig Jahre alt, der andere am 21. April 1916. Der wäre also… lassen Sie mich rechnen… achtundsiebzig.«
»Ich meine den jüngeren«, sagte ich.
»Das habe ich mir auch gedacht, deshalb habe ich mich auf ihn konzentriert. Er hat eine dicke Akte hier, die zurück bis ans Jugendgericht reicht. Keine Verbrechen, aber eine ganze Reihe von Vergehen und Einweisungen in psychiatrische Anstalten.«
»Und weshalb?«
»Mit dreizehn wurde er vom Jugendrichter wegen Voyeurismus vernommen.« Ich hörte das Klicken einer Computertastatur, als Lucie ein paar Befehle eintippte. »Dann haben wir hier Wandalismus, Schulschwänzen und einen Vorfall, als er fünfzehn war. Er hat ein Mädchen entführt und achtzehn Stunden lang festgehalten. Anklage wurde nicht erhoben. Wollen Sie noch mehr hören?«
»Ich interessiere mich mehr für das, was er in den letzten Jahren gemacht hat.«
Klick, Klick. Ich stellte mir Lucie vor, wie sie leicht vornübergebeugt an ihrem Computer saß und durch die getönte Brille auf den grünlich schimmernden Monitor schaute.
»Die jüngste Eintragung stammt von 1988. Da wurde er wegen Körperverletzung verurteilt. Sieht aus, als wäre das Opfer eine Verwandte gewesen, denn sie hat denselben Nachnamen wie er. Fortier wurde für sechs Monate in die psychiatrische Anstalt Pinel eingewiesen.«
»Wann wurde er wieder entlassen?«
»Brauchen Sie das genaue Datum?«
»Wenn Sie es haben…«
»Am 12. November 1988.«
Constance Pitre starb im Dezember 1988. Das Zimmer kam mir furchtbar heiß vor. Mein ganzer Körper war schweißgebadet.
»Steht in Ihrer Datei auch der Name des Psychiaters, der ihn in Pinel behandelt hat?«
»Da ist ein Dr. M. C. LaPerrière aufgeführt. Aber es steht nicht dabei, wer er ist.«
»Haben Sie eine Telefonnummer?«
Lucie gab sie mir.
»Und wo wohnt Fortier jetzt?«
»Die letzte Adresse ist von 1988. Wollen Sie die haben?«
»Ja.«
Ich war den Tränen nahe, als ich eine Nummer am nördlichsten Ende der Insel von Montreal wählte. Composer, sagen die Franzosen. Composer le numéro. Ich hatte Mühe damit, die Nummer zusammenzustellen, weil meine Finger so stark zitterten. Während das Telefon läutete, legte ich mir zurecht, was ich sagen wollte.
»L’hôpital Pinel. Puis-je vous aider?« fragte eine weibliche Stimme.
»Dr. LaPerrière, s’il vous plaît.«
Ja! Er war ganz offensichtlich immer noch an der Klinik beschäftigt. Die Frau bat mich zu warten, und kurze Zeit später mußte ich einer zweiten weiblichen Stimme mein Anliegen noch einmal vortragen.
»Qui est sur la ligne, s’il vous plaît?«
»Dr. Brennan.«
Wieder wurde die Leitung stummgeschaltet. Dann war eine dritte Frau am Apparat.
»Dr. LaPerrière.« Die Stimme klang müde und ungeduldig.
»Mein Name ist Dr. Temperance Brennan«, sagte ich und versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. »Ich bin forensische Anthropologin am Laboratoire de Médecine Légale und arbeite gerade an der Untersuchung einer Reihe von Morden, die in den vergangenen Jahren in der Gegend von Montreal begangen wurden. Wir haben
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