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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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blieben, die einen, weil sie die Sicherheit des Gewohnten nicht missen wollten, die anderen, weil sie es nicht schafften, von der Main wegzukommen. Heute hat sich zu diesem Kern aus Traditionalisten und Verlierern ein Gemisch von Ausgestoßenen und Kriminellen gesellt, von Schwachen, an der Gesellschaft Gescheiterten, und denen, die ihnen nachstellen. Fremde kommen nur dann in die Main, wenn sie auf der Suche nach billiger Ware oder billigem Essen, nach Drogen, Alkohol und Sex sind. Sie kommen her, holen sich das, was sie brauchen, und verschwinden wieder.
    Die Rue Ste. Catherine markiert die südliche Grenze der Main. Hier bog ich nach rechts ab und hielt genau an der Stelle, wo Gabby und ich vor fast drei Wochen im Auto gesessen hatten. Jetzt war es früher am Abend als damals. Die Nutten fingen eben erst an, sich in ihre Reviere zu begeben, und die Rocker mit ihren schweren Maschinen waren noch nicht da.
    Gabby mußte auf mich gewartet haben, denn als ich in den Rückspiegel blickte, sah ich sie mit an die Brust gedrückter Aktentasche quer über die Straße herantraben. Obwohl sie nicht gerade um ihr Leben rannte, war ihr ihre Angst durchaus anzumerken. Sie lief wie eine Erwachsene, die den lockeren Galopp der Jugend schon lange verlernt hat. Ihre langen Beine waren leicht gekrümmt, ihr Kopf gesenkt, und ihre Schultertasche schwang ihr um die Hüften.
    Gabby kam um den Wagen herum, stieg ein und blieb schwer atmend und mit geschlossenen Augen erst einmal eine Weile sitzen. Sie zitterte am ganzen Körper und ballte die Hände zu Fäusten, um ihre Fassung wiederzuerlangen. Ihr Verhalten machte mir Angst. Gabby hatte zwar immer schon einen Hang zum Dramatischen gehabt und ihm in echten oder eingebildeten Lebenskrisen ausgiebig gefrönt, aber so aus dem Gleichgewicht gebracht wie jetzt hatte ich sie bisher noch nie erlebt.
    Ein paar Augenblicke lang saß ich schweigend neben ihr. Obwohl es eine warme Nacht war, fröstelte ich. Vor lauter Aufregung atmete ich viel zu flach. Draußen auf der Straße hupten die Autos, und eine Nutte schimpfte einem vorbeifahrenden Wagen hinterher. Ihre Stimme erhob sich wie ein kleines Modellflugzeug in die Nachtluft, wo sie stieg und fiel und ihre Spiralen und Loopings drehte.
    »Fahr los.«
    Gabby sagte es so leise, daß ich es fast überhört hätte. Déjà vu. Das hatten wir doch schon einmal.
    »Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist?«
    Gabby hob eine Hand, als wolle sie eine Schimpftirade meinerseits abwehren. Die Hand zitterte, und Gabby legte sie sich flach auf die Brust. Ihr Körper roch warm nach Sandelholz und Schweiß.
    »Gleich. Gleich. Laß mich nur einen Augenblick ausruhen.«
    »Führ mich nicht an der Nase herum, Gabby«, sagte ich. Es klang ruppiger als ich beabsichtigt hatte.
    »Tut mir leid. Aber fahr jetzt bitte los«, sagte sie und vergrub den Kopf in ihren Händen.
    Na schön, wenn sie unbedingt wollte. Dann sollte sie sich eben erst beruhigen und mir dann erzählen, was mit ihr los war. Aber erzählen würde sie es mir, das war klar.
    »Zu dir nach Hause?« fragte ich.
    Sie nickte, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen. Ich ließ den Motor an und fuhr los in Richtung auf das Carré St. Louis. Als wir vor ihrem Haus anlangten, hatte Gabby noch immer kein Wort gesagt. Ihr Atem war regelmäßiger geworden, aber dafür faltete und entfaltete sie in einem fort ihre Hände. Ihre Finger umschlangen sich dabei wie Tänzer in einen seltsamen Ballett der Angst. Ich hatte Gabby schon in allen möglichen Krisensituationen zur Seite gestanden, bei Schwierigkeiten mit ihren Eltern, bei Studien- und Gesundheitsproblemen, bei Zweifeln an ihrem Glauben und ihrem Selbstbewußtsein und natürlich bei ihren chaotischen Männergeschichten. Jedesmal war ich danach völlig ausgelaugt gewesen, wohingegen Gabby bei unserer nächsten Zusammenkunft vor lauter Lebensfreude gesprüht und die jüngste Katastrophe anscheinend vollkommen vergessen hatte. Es mangelte mir wahrlich nicht an Mitgefühl, aber ich hatte mit Gabby schon die unglaublichsten Geschichten durchexerziert. Ich erinnerte mich an eine Schwangerschaft, die dann doch keine war, oder an eine gestohlene Brieftasche, die sich schließlich zwischen den Kissen von Gabbys Couch wiedergefunden hatte. Diesmal allerdings schien Gabby so durcheinander, daß ich sie nicht alleine lassen konnte, auch wenn ich mich noch so sehr nach meiner ruhigen Wohnung zehnte.
    »Würdest du heute vielleicht lieber bei mir

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