Tote Männer Milch (German Edition)
der Toten warf sie in den Toiletteneimer. Anschließend wandte sie sich den Schminkprodukten in der gläsernen Vitrine zu, die eindeutig zu den Hinterlassenschaften der Toten gehörten. Beinahe ehrfürchtig legte sie die schönen Dinge, mit denen sie sich ihr Gesicht verschönert hatte, an ihren Platz zurück, richtete ihr Haar und betrachtete sich eingehend im Spiegel. Schon lange nicht mehr, hatte sie ihrem Spiegelbild so viel Beachtung geschenkt und schon lange nicht mehr gefiel ihr das, was sie sah. Isolde verließ das Badezimmer, schlich die Treppe zum Foyer hinab und durchforstete Pauls Jacke, die am Garderobenständer hing. Sie wollte gerade das Haus verlassen, als sie ein bekanntes Geräusch vernahm. Der Hund, dachte sie. Ohne lang zu überlegen, schnappte sie sich das Körbchen, das immer noch im Wohnzimmer auf dem Tisch stand und verließ mucksmäuschenstill das Haus. Dabei achtete sie darauf, dass sie von niemandem entdeckt wurde. Ihre Armbanduhr zeigte 7.15 Uhr an. Also brauchte sie sich nicht zu beeilen, um den Bus um 7.30 zu erreichen. Die Haltestelle war gerade mal fünf Minuten entfernt. So schlenderte sie wie eine Schulschwänzerin des Weges dahin und sprach mit dem Hund, der leise und in merkwürdig verschraubten Tönen, vor sich hinjaulte.
„Ja, ja schon gut, du hast Kohldampf, ich kauf dir dann eine große Wurst. Apropos Wurst, vielleicht willst du ja dein Geschäft verrichten...“
Sie blieb stehen, band das Tier vom Henkel des Körbchens los und führte ihn an der Leine hinter einen Haselnussbusch.
„Brav, lobte sie, als sie ihm dabei zusah, wie er sich entleerte. Gleichzeitig kramte sie nach einem Erfrischungstuch, das sie stets bei sich trug und wischte dem Hund das Hinterteil ab. Sie überlegte kurz, ob sie das Tier wieder ins Körbchen legen sollte, entschied sich aber anders und ließ den Hund an der Leine laufen. An der Bushaltestelle angekommen, vertrieb sich Isolde die Zeit damit, den Autos nachzuschauen, die in hoher Geschwindigkeit an ihr vorbeischossen. Ein L kw-Fahrer hupte. Isolde blickte ihm verwundert nach und hob, mehr reflexartig als beabsichtigt, die Hand. Der Lastwagen setzte den Blinker und kam einige Meter von ihr entfernt zum Stehen.
Grundgütiger, der will mich doch nicht etwa aufladen, dachte sie. Im gleichen Augenblick sah sie, wie die Beifahrertür geöffnet wurde. Der Fahrer sein schütteres Haupt herausstreckte und sie heranwinkte. Vielleicht will er mich nur nach dem Weg fragen, fiel ihr ein und lief zögerlich auf den LK W zu.
„Kann ich Sie mitnehmen?“ Der Fahrer sprach im bayerischen Dialekt, war nicht mehr der Jüngste und besaß ein einfaches, aber vertrauensvolles Gesicht.
„Ich warte auf meinen Bus – ich hab’s nicht eilig“, erwiderte Isolde fröhlich.
„Ich auch nicht! Kommen’s steigen’s ein!“
Isolde stieg ein.
„Übrigens, ich bin der Sepp. Man nennt mich auch Kapitän der Landstraße … das ist meine Stammroute…“
„Wie interessant, und die Damen dort…“, Isolde verwies mit dem Kinn auf die am Armaturenbrett befestigten Spielkarten, auf denen sich nackte Schönheiten präsentierten, “gehören sicher zu Ihrer Stammcrew?“
Sepp nickte lebhaft und lachte geschmeichelt.
„Wo m üssen’s denn hin, hübsche Frau?“
„Nach Essenbach, zum Baumarkt“, antwortete Isolde.
„Fesch, und auch noch praktisch veranlagt, ha, was will ein Mann mehr!“, stellte Sepp leichthin fest.
„Ich kann auch gut blasen“, entgegnete Isolde trocken und musterte ihr Gegenüber mit dem Charme eines Feldwebels.
„Oh“, stieß Sepp verblüfft hervor.
„Ja“, beteuerte Isolde. „Aber machen Sie sich keine Hoffnungen, ich bin schon vergeben.“
„Oh“, wiederholte Sepp nervös, wobei er mit den Fingern auf dem Lenkrad klimperte.
Isolde hingegen regulierte die Lautstärke des Radios und begann munter vor sich hin zu pfeifen. Sie hatte ihre Beine ausgestreckt und die Füße auf das Armaturenbrett gelegt. Ihr langer Rock war etwas nach oben gerutscht. Sepp registrierte es aus den Augenwinkeln heraus. Bei jeder anderen Frau, hätte Sepp diese Pose als einladend gewertet und einen Annäherungsversuch gestartet. Aber bei Isolde widerstand er dem Impuls, versuchsweise seine Hand auf ihren Schenkel zu legen. Warum, konnte er selbst nicht erklären. Stattdessen wurde ihm heiß, er begann zu schwitzen und schielte wiederholt mit gesenktem Blick auf Isoldes gebräunte Beine – so, als suche er nach einer Erklärung für seine
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