Tote Männer Milch (German Edition)
Diensteifer weckte Frau „KK“ Wagenknecht so gar nicht den Verdacht, dass behäbige Freuden des Lebens wie popelige Gartenzäune ihrer Beamtenexistenz Halt geben könnten. Noch nicht mal die Aussicht auf Feierabend. – Eigentlich kann ich ja noch froh sein, dass sie mich den Dienstwagen steuern lässt, dachte er und warf einen auffällig-unauffälligen Blick auf seine Armbanduhr.
„Niemand da“, folgerte Frisch, als sich nichts tat.
„Natürlich ist jemand da“, widersprach Wagenknecht. Sie lehnte sich lauschend an die Tür. „Hören Sie die Musik nicht? Das ist der Hochzeitsmarsch von Chopin.“
„Vielleicht hat sie vergessen das Radio auszuschalten“, wandte Frisch ein, „…ist mir schon öfters passiert.“
Isolde hörte das Klingeln nicht. Sie war hochkonzentriert mit der Gestaltung ihrer Hochsteckfrisur beschäftigt. Zwischen ihren Lippen steckte eine Ansammlung von Haarnadeln und auf ihrem hochkonstruierten Haargebilde ein Blumenkranz aus künstlichen Nelken. Geringschätzig begutachtete sie ihr Werk. Es passte ihr nicht, was sie im Spiegel sah. Und in diesem Moment, in dem die Bewunderung für das Kunstwerk ihrer selbst kurz brach, horchte sie auf – dass es ausgerechnet jetzt an der Haustür klingelte, das gefiel ihr noch viel weniger.
Wütend lief sie ins Badezimmer, von dessen Fenster sie auf den Eingang des Hauses blicken konnte.
„Die haben mir gerade noch gefehlt!“, murmelte sie säuerlich und eilte in ihr Schlafzimmer zurück, um sich wenigstens aus der unvorteilhaften Garderobe zu schälen.
„Moment!“, brüllte sie ungehalten, als zum wiederholten Mal geläutet wurde. „Saupack, verdammtes!“
So rasch sie konnte, schlüpfte Isolde in das erstbeste Kleidungsstück, das ihr in die Hände fiel. Missgelaunt öffnete sie die Tür.
Frisch versuchte, mit möglichst ausdrucksloser Miene den merkwürdigen Aufzug von Isolde auf sich einwirken zu lassen. Schließlich war man als Kriminalbeamter darin geschult, ungewöhnliche Details zu registrieren, ohne mit der Polizeiwimper zu zucken. Auch Kommissarin Wagenknecht bemühte sich ernst zu bleiben. Aber weit weniger geschickt, wie Frisch auffiel. Ihre Augen huschten ungläubig über die blaue Arbeitslatzhose, verfingen sich einen Wimpernschlag zu lang in den funkelnden Strassohrgehängen, konnten sich nicht schnell genug von den fingerlosen Spitzenhandschuhen lösen und bestaunten, mit geradezu kindlicher Hingabe, das kunstvoll aufgetürmte Vogelnest, das Isolde auf den Kopf trug.
„Was starren Sie mich so an?“, fragte Isolde die junge Beamtin barsch. „Wer sind Sie, und was wollen Sie von mir – ich kaufe nichts!“
„Wir sind von der Kriminalpolizei, ich bin Kriminalkommissarin Wagenknecht und das ist mein Kollege Kriminaloberkommissar Frisch, wir hätten einige Fragen an Sie, Frau Brösel.“
„In welcher Angelegenheit?“, erkundigte sich Isolde, während sie mit gespieltem Ernst den Ausweis von „KOK“ Frisch studierte.
„Wir kommen im Fall der Doris Maibach, dürften wir bitte für einen Moment eintreten, Frau Brösel?“, erklärte Frau Wagenknecht geduldig.
„Bitte treten Sie ein, aber ziehen Sie ihre Schuhe bitte aus. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Sie mich vorher angerufen hätten, dann hätte ich mich besser auf ihren Besuch vorbereiten können.“
Genau das wollten wir eben nicht, dachte Frisch und blickte sich mäßig interessiert in Isoldes Wohnzimmer um.
„Bitte nehmen Sie Platz. Darf ich den Herrschaften etwas zu trinken anbieten – einen kleinen Sherry vielleicht?“ Isolde blickte fragend „KOK“ Frisch an, der ansatzweise nickte.
„Nein danke“, lehnte Wagenknecht ab, „wir sind im Dienst. Wir möchten auch gar nicht Ihre Zeit stehlen. Sie wissen ja bereits, was mit Frau Maibach geschehen ist …“
„Ja, das pfeifen ja die Spatzen vom Dach. Sie ist ertrunken, weil sie betrunken war“, erklärte Isolde ungerührt. „Die Maibachs waren ja kaum eingezogen, da hat man schon gemunkelt, dass sie eine Säuferin war“, sagte Isolde, um nachzuschieben: „Hinter vorgehaltener Hand, natürlich.“
Isolde schaute die Polizisten mit naivem Augenaufschlag an: „Ich frage mich nur, was Sie damit zu tun haben? Ist es heute schon verboten betrunken zu ertrinken?“
„Es ist unsere Aufgabe, in Unglücksfällen mit Todesfolge zu ermitteln“, klärte Wagenknecht auf, obwohl sich Isolde mit der Frage an den Kollegen Frisch gewandt hatte.
Als sei sie gierig auf die Sensation riss Isolde die Augen
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