Tote Stimmen
sich viele Hände, und die Blitzlichter leuchteten auf, aber Currie entspannte sich jetzt etwas.
Er brachte der Presse einen gewissen Respekt entgegen, da sie sich als nützlich erweisen konnte, aber nach Alison Wilcox’ Ermordung hatten die Medien ihnen die Verbindung zu den zwei früheren Morden entlockt, und Currie war eher wortkarg geworden. Ihm schien, dass die toten Mädchen auf die schrecklichen Einzelheiten reduziert wurden, um immer neue druckfrische Seiten zu füllen und den Umsatz der Zeitungen zu steigern, und er fand die ganze Sache langsam schwer zu ertragen.
Swann gelang es offenbar besser, dabei die Fassung zu behalten, deshalb hatten sie sich geeinigt, dass er von jetzt an die Beantwortung der Fragen übernehmen würde. Tatsächlich konnte die Presse Swann sowieso besser leiden als ihn: Sein Kollege war fünfunddreißig Jahre alt, muskulös und fotogen. Die Leute wünschten sich im Allgemeinen, dass Swann sie mochte, und er beherrschte den Trick, zu lächeln, ohne oberflächlich zu erscheinen. Wogegen Currie, wenn er sich im Fernsehen sah, sogar selbst meinte, er solle sich etwas heiterer geben.
Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie er heute wohl wirken mochte. Sein Gesicht fühlte sich wie ein alter Felsbrocken an.
»Sehen Sie eine Verbindung dieses Todesfalls zu den früheren Morden an Vicky Klein, Sharon Goodall und Alison Wilcox?«
»Wie ich schon erwähnte, wir ermitteln in verschiedene Richtungen.«
»Und das ist eine dieser Richtungen?«
»Es ist eine der Möglichkeiten, die wir untersuchen, ja.«
»War das Opfer gefesselt?«
»Das Opfer hatte eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten. Wir können hier nicht ins Detail gehen aus Gründen, die Sie sicher begreifen werden.«
»Stehen Sie kurz davor, eine Verhaftung vorzunehmen?«
Currie dachte an Frank Carroll und den belustigten Blick, der bei der Befragung in den Augen des Mannes erschienen war. Dass er mittels der Fußfessel per GPS verfolgt werden konnte, hatte jeden Verdacht gegen ihn entkräftet, und ihr IT -Spezialist hatte ihnen versichert, dass das Gerät nicht manipuliert worden war. Es war enttäuschend. Frank Carroll war den Wohnungen der Mädchen – oder auch den Orten, von denen aus die SMS geschickt wurden – niemals nahe gekommen.
Swann nickte. »Wir haben einige Anhaltspunkte, denen wir nachgehen. Aber wir möchten uns nicht über Einzelheiten zu bestimmten Personen äußern.«
Der Reporter starrte ihn ausdruckslos an und machte sich Notizen auf seinem Block.
Kritzel, kritzel, dachte Currie. Die Polizei weiß nichts.
Einerseits war ihm die Feindseligkeit der Medien egal. Es war unvermeidlich, dass die Presse sich gegen sie wenden und Ergebnisse verlangen würde. Er wollte diese Ergebnisse ja auch. Aber andererseits machte es ihn unheimlich wütend. Er und Swann – eigentlich das ganze Team – hatten bis zur Erschöpfung an dem Fall gearbeitet, und allen lagen die ermordeten Mädchen und das Auffinden ihres Mörders am Herzen. Diesen Leuten lagen nur die Verkaufszahlen ihrer Zeitungen am Herzen.
Wieder hob sich eine Hand. »Wer hat die Leiche gefunden?«
»Die Leiche wurde von einem Freund des Opfers gefunden, weil er sich um sie sorgte.«
»Wurden andere Freunde von ihr kontaktiert, so wie bei den früheren Morden?«
»Vier Personen erhielten heute Vormittag Mitteilungen über Mobiltelefon.« Swann nickte und sah sich dann im Publikum um. »Wir werden den Inhalt nicht bekanntgeben oder weiter darüber sprechen.«
»Ist die Frau verdurstet?«
»Die Todesursache wurde noch nicht festgestellt.«
Currie merkte, dass die Atmosphäre im Raum immer drückender wurde, je länger es mit diesen Fragen weiterging. Er wusste, dass der Grund wohl hauptsächlich seine Müdigkeit war, aber die Rückwand des Raums schien plötzlich zurückzuweichen und im nächsten Moment wieder heranzurücken. Julie Sadlers entrüstete Frage, die sich nicht beantworten ließ, schien in der Luft zu hängen.
Warum ist niemand gekommen? Warum …
»Wie viele Mädchen wird man noch sterben lassen?«
Curries Blick streifte den Reporter, der gesprochen hatte. Swann starrte ihn einen Moment an, aber der Mann fuhr unverzagt fort und stellte schulterzuckend die Frage, als sei sie offensichtlich und natürlich.
»Sie haben doch seit einem Jahr mit diesen Ermittlungen zu tun. Wie viele Mädchen werden Sie noch umkommen lassen?«
Swann starrte ihn noch eine Sekunde lang an und antwortete dann genau so höflich wie bisher. Currie sah
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