Tote Stimmen
Angst und merkte dann, dass sie geträumt hatte. Der Wagen schaukelte und erinnerte sie daran, wo sie war.
Oh Gott
. Immer noch im Kofferraum. Was wollte er? Wohin brachte er sie? Es war so weit gekommen, dass sie fast sterben wollte, weil dann zumindest diese Qual zu Ende wäre. Ihre Muskeln, die schon wie Feuer brannten, schmerzten bei jedem Stoß der Radaufhängung noch schlimmer. Es war unerträglich, aber trotzdem war sie gezwungen, es zu ertragen.
Atmen.
Sie ignorierte die Qualen, die sie peinigten, und versuchte, sich mit dem Kopf wieder näher an die Luftlöcher heranzuarbeiten, reckte den verkrampften Hals und streckte sich, so weit sie konnte. Aber es bewirkte nur, dass der Benzingeruch stärker wurde und sie nur noch eine stinkende lila Wolke vor sich sah. Es war ein Fehler gewesen, ihre Sinne verwirrten sich. Sie würde wieder das Bewusstsein verlieren.
Aber dann fuhr das Auto langsamer und hielt an, und sie hörte das Knacken der Handbremse. Sie waren irgendwo hineingefahren. Sie horchte angestrengt und versuchte mitzubekommen, ob irgendjemand in der Nähe war, hörte aber nichts. Trotzdem trat sie um sich, stieß an die Seite des Wagens, so fest sie konnte.
Aber ihre Beine bewegten sich nicht. Sie wollte …
Stimmen.
Tori riss sich zusammen und horchte. Es waren auf jeden Fall Leute. Oder jedenfalls eine Person. Ein halbes Gespräch. Es dauerte nur einen Moment, bis ihr klar wurde, dass der Fahrer auf einem Handy telefonierte, aber die Geräusche wurden von den Sitzen hinter ihr gedämpft. Sie versuchte zu hören, was er sagte, konnte es aber nicht ganz verstehen. Die Worte zogen an ihr vorbei wie die frische Luft aus den Bohrlöchern und bildeten in ihrem Kopf verschwommene Abdrücke einer Sprache, die sie nicht entziffern konnte.
Und dann hörte sie es und dachte:
Was ist mit deinen Händen passiert?
Oh Gott, jetzt erinnerte sie sich, was es bedeutete.
Tori begann lautlos zu schreien, die trockenen Eisenspäne und der Staub in ihrer Kehle waren ihr egal, bis der Schmerz aufbrach und die Dunkelheit sie wieder umfing.
28
Samstag, 3. September
E s gibt eine gute Faustregel, wenn man einen Zaubertrick analysieren möchte. Man fängt mit dem letzten Effekt an, mit dem, was einem unerklärlich ist. Dann geht man weiter zurück, arbeitet die Einzelheiten durch, die man sicher weiß, und sucht dazwischen nach Anhaltspunkten. So spürt man das Geheimnis auf. Man legt die Vorgaben des Tricks fest und arbeitet dann heraus, wie er im Rahmen dieser feststehenden Größen zustande gebracht werden konnte.
Wenn ein Ring in einem Blumentopf bei der Tür auftaucht, muss ihn jemand dorthin gelegt haben. Wenn nur eine Person in der Nähe der Tür war, dann muss sie es gewesen sein. Wenn es nur einen Moment gibt, in dem sie den Ring genommen haben könnte, dann muss es in diesem Moment geschehen sein. Indem man die Fakten durchgeht, die man sehen kann, arbeitet man die Teile heraus, die unsichtbar sind.
Das Prinzip bewährt sich auch bei allem anderen. Wenn ich herausfand, wie der Mörder das schaffen konnte, was er getan hatte, würde ich einiges über ihn erfahren.
Es war offensichtlich, dass er viel über mich wusste, und diese Informationen hatte er nicht aus der Luft herbeigezaubert. Also, wie hatte er’s gemacht? Er kannte drei meiner Ex-Freundinnen. Es war möglich, dass entweder Julie oder Emma ihm von Tori erzählt hatte, weil meine Beziehung zu ihr mir am wichtigsten war und beide sie kennengelernt hatten. Aber sie kannten einander nicht. Er konnte nicht Julie entführt und etwas über Emma gehört haben oder umgekehrt. Und deshalb musste er von ihnen auf anderem Wege gehört haben. Die wahrscheinlichste Erklärung war, dass ich selbst den Ausgangspunkt bildete und er mich aus irgendeinem Grund als Zielperson ausgewählt hatte. Wäre ich mit anderen ausgegangen, hätte er diese verschleppt.
Er wusste mindestens zwei Jahre in die Vergangenheit zurückreichend über meine Ex-Freundinnen Bescheid. Er wusste, wo das Haus meiner Eltern war. Und er hatte Thom Stanley bestochen, mir im Varieté am Donnerstagabend eine Nachricht zu übermitteln, also hatte er gewusst, dass ich dort sein würde.
Vom Trick zum Geheimnis. So wenig ich es auch wahrhaben wollte, fiel mir doch nur eine Person auf der Welt ein, die all dies wissen konnte.
Samstags in der Mittagspause war der Campus der Universität fast ganz menschenleer. Ich saß in einiger Entfernung vom Hauptgebäude auf einer Betonmauer und
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