Tote Stimmen
nicht sicher. Also, dann sag’s mir doch.«
Erbitterung hatte sich unbeabsichtigt in meiner Stimme niedergeschlagen, aber Rob schien es nicht zu bemerken. Trotzdem klang er unzufrieden.
»Sie sind im Büro gewesen.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Sie waren dort, als du anriefst. Sie haben vieles mitgenommen. Ich würde sagen, es ist ziemlich ernst.«
Ich nickte. »Sie meinen, dass ich diese Mädchen umgebracht habe.«
»Und auch, dass du Tori entführt hast. Ich habe ihr Bild gestern Abend in den Nachrichten gesehen. Sie wird vermisst.«
»Ich weiß. Ich hab’s nicht getan.«
»Ja, das dachte ich mir. Was ist also los, Dave?«
»Hier.«
Ich nahm ein Blatt Papier aus meiner Tasche, faltete es auseinander und gab es ihm. Wir gingen weiter, während er es las, aber ich beobachtete sein Gesicht. Alles an seinem Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass er es noch nie gesehen hatte. Ich wollte glauben, dass es stimmte, aber wie konnte das sein?
»Herrgott noch mal, Dave. Was ist das denn?«
»Genau das, wonach es aussieht«, sagte ich. »Der Mann, der Tori entführt hat, ließ das in ihrer Wohnung zurück, damit ich es finden sollte. Er spielt mit mir. Ich weiß nicht, warum. Er hat auch die E-Mail geschrieben, die du mir ins Carpe Diem mitgebracht hast.«
Rob las den Brief noch einmal durch. »Mein Gott.«
Er sah schockiert aus, aber rührte der Schock vom Inhalt des Briefes her? Wenn er wirklich der Mann in dem Auto gestern Abend gewesen wäre oder wenn er etwas über seine Pläne gewusst hätte, dann wäre er doch sicherlich überraschter gewesen, dass ich noch eine Kopie davon besaß? Der Mann hatte schließlich sehr darauf geachtet, den Brief von mir zurückzubekommen.
Nur hatte er ihn nicht bekommen, bevor ich Gelegenheit hatte, ihn zweimal durch das Faxgerät meines Vaters laufen zu lassen.
»Er hat Julie umgebracht«, sagte ich. »Und Tori entführt.«
Die Nutte,
dachte ich.
Die Verrückte
.
Wir kamen jetzt an den äußeren Rand der Grasfläche. Vor uns wand sich der Pfad zwischen zwei dichten Baumgruppen durch. Hier standen aufwendiger gestaltete Grabsteine aufrecht wie verwitterte Wachposten. Als wir hineingingen, wurde es dunkel.
Rob gab mir den Brief zurück.
»Aber warum? Warum tut er dir das an?«
Ich blieb stehen. »Ich weiß nicht. Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen könntest.«
»Aber … was?« Er starrte mich an.
Plötzlich war er nervös.
Ich sagte nichts.
»Du siehst mich so merkwürdig an, Dave? Was ist los?«
»Wie ich schon sagte, Rob. Sag du’s mir.«
»Was … meinst du etwa, das hat etwas mit mir zu tun?« Er schüttelte den Kopf. »Scheiße! Nachdem ich
die Polizei angelogen habe
und hier rausgekommen bin, um dich zu treffen? Was ist denn bloß los mit dir?«
»Thom Stanley«, sagte ich.
»Was?«
»Ich habe mit ihm gesprochen.«
»Und?«
»Jemand hat ihn am Donnerstagvormittag angerufen«, sagte ich. »Ein Mann. Er gab ihm Geld und hat ihn so dazu gebracht, Toris Namen in seiner Vorstellung zu nennen.«
»Also, ich war’s nicht, verdammt noch mal.«
»Wer dann? Wer sonst wusste von Julie und Emma oder was ich für Tori fühlte? Und dass ich an dem Abend dort im Varieté sein würde?«
»Ich weiß nicht, aber ich war es nicht.« Die Entrüstung schien von ihm abzufallen. Er sah verletzt aus, tief enttäuscht. »Warum sollte ich das tun?«
Ich antwortete nicht und suchte in seinem Gesichtsausdruck nach irgendeinem Anzeichen, dass dies alles gespielt war, konnte aber keines entdecken.
Er schüttelte den Kopf. »Seit zehn Jahren sind wir beste Freunde. Wir haben immer füreinander gesorgt. Warum sollte ich … dir
das
antun?«
»Ich weiß es nicht.«
Es war nicht Rob.
Wie hatte ich das jemals glauben können?
Verzweiflung erfasste mich. Plötzlich holte mich alles ein, und es war zu viel für mich. Ohne nachzudenken, kauerte ich mich nieder, lehnte mich zurück und setzte mich auf den Boden.
Ich schlug die Hände vors Gesicht und konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Ich konnte es mir einfach nicht anders erklären.«
Er sagte nichts.
»Ich will einfach, dass all dies vorbei ist.«
Einen Moment herrschte Schweigen. Dann spürte ich seine Hand auf meiner Schulter. Ich öffnete die Augen und sah, dass er sich neben mich gesetzt hatte. Seine Stimme war sanft.
»Du musst zur Polizei gehen.«
»Das kann ich doch nicht, oder?«
»Wegen des Briefs? Mein Gott. Meinst du nicht, er wird sie sowieso umbringen?
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