Totem des Boesen
für die Dauer eines Lidschlages von Bestand. Dann wich sie blutroten Schatten, die die Konturen ihrer Umgebung füllten.
Erst dann besann Lilith sich dessen, was ihren Schlaf gestört und schließlich beendet hatte.
Sie lauschte in die Nacht. Wieder fiel ihr auf, daß kein natürliches Geräusch zu hören war. Aber auch jenes, das im Schlaf zu ihr vorgedrungen war, hörte sie nicht mehr.
Was war es überhaupt gewesen?
Lilith versuchte sich daran zu erinnern, doch es fiel ihr erst ein, als sie es wieder vernahm.
Es klang wie ein Stöhnen. Und doch anders. Es war kein Schmerz darin. Dafür etwas - Lockendes. Etwas, dem Lilith sich nicht widersetzen konnte. Was sie ohnehin nicht wirklich versuchte. Vielmehr wollte sie herausfinden, woher es kam.
Sie kroch in Richtung der Öffnung in der Zeltwand und schlüpfte hinaus. Es war nicht schwer, dem Geräusch zu folgen, denn Lilith mußte es nicht richtig orten. Es kam ihr vor, als würde das seltsame Stöhnen vor ihr her durch die Nacht wehen. Als würde es sie leiten.
Wohin?
Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
Während sie über die freie Fläche zwischen den Tipis lief, versuchte sie auch auf andere Geräusche zu horchen. Nach Lauten, die auf die Anwesenheit der Arapaho hinwiesen. Doch sie hörte nichts. Vermutlich waren die Vampire unterwegs, um ihren Durst zu stillen -auf jene »sanfte Weise«, die Hidden Moon ihr beschrieben hatte und die sie trotzdem nicht nachvollziehen konnte. Weil sie sich so grundlegend von all dem unterschied, was sie über ihr Stiefvolk wußte.
Das Stöhnen verstummte abrupt, als sie vor dem Tipi anlangte, durch dessen dünne Lederhäute es gedrungen war.
Gleichzeitig zuckte ein vertrautes - verhaßtes! - Gefühl durch Liliths Gedanken. So wie es in diesem Moment sämtliche Vampire des Dorfes erreichen mußte.
Ein Todesimpuls!
Ein Vampir starb!
Hastig schlug Lilith die Büffelhaut vor dem Eingang zurück. Doch bis auf eine Gestalt, die reglos, wie schlafend vor ihr lag, war das Tipi leer.
Der Impuls war nicht genau zu lokalisieren gewesen. War es möglich, daß er gar nicht dieses Zelt betraf? Lilith kroch zu dem reglosen Körper hin, drehte ihn auf den Rücken - und erkannte, daß der Ge-danke falsch gewesen war.
Ihre Hände tauchten in klebrige Feuchtigkeit, und der Geruch, der davon aufstieg, ekelte sie im gleichen Maße, in dem er etwas völlig Gegensätzliches in ihr weckte.
Durst. Lust auf schwarzes Blut ...
Sie sah in das Gesicht des Toten und erkannte Lololma. Seine nackte Brust glänzte naß und dunkel vor Blut, das träge aus einer Wunde in Herzhöhe rann. Als hätte jemand den Vampir gepfählt und den Pflock wieder hervorgezogen, bevor er sich aus dem Staub gemacht hatte. War er deshalb nicht sofort gestorben .?
Weiter kamen Liliths Gedanken nicht.
Ein Geräusch vom Eingang her lenkte sie ab.
Sie wandte den Blick - und begegnete dem einer Vampirin, die vor dem Eingang stand, die Plane noch in der Hand.
Das schon zuvor nicht schöne Gesicht der anderen verzerrte sich. Doch Lilith hatte den unbestimmten Eindruck, daß es nicht Entsetzen, nicht einmal wirkliches Erschrecken war, das ihre Züge veränderte, sondern - Triumph?
Lilith verstand nicht ...
... zumal das Heulen, das Chelana in der nächsten Sekunde anstimmte, eindeutig von Schmerz und Trauer kündete.
Ebenso wie von Wut und Haß, die allein ihr, Lilith, galten.
Lololmas Mörderin!
*
Sie kamen scheinbar aus dem Nichts, vom Todesimpuls alarmiert, und stürzten sich wie eine Horde blutrünstiger Raubtiere auf Lilith, kaum daß sie das Tipi des toten Lololma verlassen hatte.
In diesen Momenten bewiesen sie, daß sie das wahre Wesen der Alten Rasse nicht wirklich abgestreift hatten. Sie konnten es noch immer nutzen, wenn sie es wollten - oder mußten.
Wie Bestien rissen sie Lilith zu Boden. Die Halbvampirin stand gegen die Übermacht auf verlorenem Posten. Allein die Tatsache, daß die Arapaho solche Art zu kämpfen nicht mehr gewöhnt waren, gereichte ihr zum Vorteil.
Zwei oder drei der Angreifer vermochte sie abzuschütteln und zurückzustoßen, doch dann rissen rasiermesserscharfe Klauen ihr Fleisch auf, und dunkelrotes Blut floß, dessen Anblick die Wildheit der Arapaho noch anfachte .
Etwas fuhr in den Pulk von Leibern, der sich über Lilith türmte, und ließ ihn auseinanderplatzen. Hidden Moon stieß die Angreifer zurück. Erst dann erhob die Stimme, laut und durchdringend, beseelt von etwas, das ihn von seinen Brüdern und
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