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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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der Stabsfeldwebel, „und das sagten Sie doch, Oberst?“
    „Ja. In etwa.“
    „Dann haben wir noch Zeit. Ich habe über das nachgedacht, was der Hauptkommissar vorgeschlagen hat.“
    „Und das wäre!“, rief der Leutnant drohend.
    Die beiden schauten sich an, und der Stabsfeldwebel überwand seine Scheu vor den Schulterklappen.
    „Ich weiß, dass wir Experten im Team haben, mit denen sich was anfangen ließe. Wir sollten die Männer antreten lassen und über die Lage aufklären. Und dann Ideen abrufen.“
    „Wenn Sie das tun, kommt das einem Aufruf zur Massendesertion gleich, wenn nicht gar einem Startschuss zu einer Massenpanik.“
    „Die Männer sind doch nicht blöd“, konterte der Stabsfeldwebel und gewann dabei an Sicherheit. „Die können selbst aus dem Fenster schauen und ihre Schlüsse aus dem ziehen, was sie sehen. Wenn wir die Lage ignorieren oder Befehle erteilen, die unsouverän erscheinen, haben wir die Panik genauso.“
    „Meine Herren, wir müssen eine Entscheidung treffen“, mahnte der Oberst. „Wagen wir doch gleich mal ein bisschen mehr Demokratie. Wer ist dafür, die Männer einzubeziehen?“
    Mertel hob die Hand sofort, der Stabsfeldwebel folgte. Der Unteroffizier wagte sein Handzeichen erst, als der Oberst bereits die Mehrheit festgelegt hatte.
    „Wir respektieren Ihre Enthaltung, Leutnant.“
    „Gegenstimme, nicht Enthaltung. Mit dieser Entscheidung besiegeln Sie das Ende unserer Truppe. Und Ihr eigenes.“
     
    Neuminingen nannte es Rekrutierung. Um eine Übermacht zu erschaffen für die große Schlacht.
    Und Wicca wurde gezwungen, sich das anzusehen. Kalt beobachtete sie, mit verkreuzten Beinen hockend an den Marktbrunnen vor dem Rathaus gelehnt und von ihren eigenen Geschöpfen bewacht, wie im rotglühenden Morgengrauen die gespenstischen Szenen der Nacht ihren geheimnisvoll-apokalyptischen Schauder verloren und sich als das Gemetzel zu erkennen gaben, das ihnen seit Stunden längst anzuhören war. Todesschreie über Todesschreie. Röcheln und Knurren und Brüllen. Systematisch drangen Horden von Wiedergängern in die Wohnungen der verschanzten Menschen der ganzen Stadt ein, trieben sie auf dem Marktplatz rings um Wicca zusammen und verwandelten sie beißend, reißend und schmatzend in ihresgleichen.
    Franz von Neuminingen, dem sie seine Stockfessel endlich abgenommen hatten, hockte so erstarrt und ausgetrocknet wie bisher mit vorgestreckten Armen und Beinen auf dem Pflaster in einem See aus Blut und schien auf das Wunder seiner Wiedergeburt zu warten. Aber Wicca wusste, das konnte er sich abschminken. Ihr Mittel hatte erstmals versagt. Sie hätte zu gerne gewusst, wieso. Den verbrutzelten Bergenstroh hatte sie damit zu neuem, jungem Leben erwecken und anschließend zu Asche verbrennen können – frei, wie es ihr beliebte. Das ganze Höllenchaos ringsum war ihr Werk, ein sagenhaftes Ergebnis.
    Und doch, es gab keine Regel und keinen Verlass auf eine bestimmte Art von Wirkung. Die einen Totgebissenen erhoben sich nach Minuten und wurden mordlüsterne Zombies, andere blieben liegen und waren einfach nur tot. Manche Wiedergänger waren mit einem Kopfschuss oder Stich ins Auge zu töten, allzu viele aber liefen mit zerspaltenem Schädel noch umher oder krochen mit einem Reststumpf über dem Hals blind und gehörlos auf allen Vieren über den Boden.
    Süchtige der ersten Stunde, von denen es inmitten der neuen Untoten-Übermacht noch so manche gab, verfielen jetzt, da das Mittel endgültig hier unten nicht mehr zu bekommen war, in die Erstarrung, wie sie es ja von allen erwartet hatte. Aber die meisten funktionierten auch ohne ständigen Nachschuss. Manche wurden von den Zombies gemieden, andere erst recht gerissen. Manche Zombies gierten nach dem Mittel, erstarrten gar ohne; die Mehrheit brauchte es nicht.
    Fast alle vernahmen die Gedankenbefehle des selbsternannten Obermonsters, Wicca selbst ja auch; manche sahen seine Seele um ihn herumspuken oder die Seelen überhaupt aller, die hier umherwankten, ihren Körpern nachschleichen und sie durchgeistern. Die meisten gehorchten Neuminingen, manche regelrecht fanatisch; andere nicht und gingen ihrer Wege.
    Die interessanteste Beobachtung aber machte Wicca an sich selbst: Das alles juckte sie nicht mehr. Es war längst nicht mehr ihr Ding. Es rückgängig oder ungeschehen zu machen, daran lag ihr zwar auch nicht, es hatte getan werden müssen. Aber jetzt fühlte sie sich verbraucht. Ihr Hass war verflogen. Ausgepowert, ausgebrannt,

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