Totenacker
zusammengebracht, wo sie, wie man es ausdrückte, ‹abgespritzt› wurden.» Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. «Menschen aus unserer Region, die psychisch auffällig waren oder auch nur als ‹arbeitsscheu› galten, saßen damals in Bedburg. Dort wurden sie als Allererstes einmal zwangssterilisiert. Und ich habe irgendwie im Kopf, dass an diesen Sterilisationen auch ein Klever Arzt beteiligt war.»
Er schaute in fragende Gesichter.
«Ein Freund von mir hat seine Doktorarbeit über die Nazizeit in der Bedburger Klinik geschrieben», erklärte er. «Er ist Psychiater. Die Arbeit liegt irgendwo bei den Sachen, die ich in der Garage meiner Eltern eingelagert habe.» Er sah auf die Uhr. «Ich fahre los und hole sie. Ich muss sowieso noch meinen Umzug organisieren.»
«Du hast endlich eine Wohnung gefunden!» Cox freute sich.
«Ja, tatsächlich. Und ihr werdet nicht raten, wer mir dazu verholfen hat.»
Er zeigte auf van Appeldorn, der gerade hereinkam, beide Daumen in die Höhe gereckt.
«Der Staatsanwalt hat nur mal kurz aus seinem Burgfenster geschaut und die Ü-Wagen gesehen, da war dann die Ermittlung gegen unbekannt keine Frage mehr.» Er schien aufgekratzt. «Für morgen um elf habe ich eine PK angesetzt. Bevor wir also für heute Schluss machen, müssen wir uns überlegen, was wir denen erzählen wollen. Setzt sich einer von euch freiwillig mit mir aufs Podium?»
«Das kann ich machen», meldete sich Schnittges.
Van Appeldorn grinste. «Aber bitte nichts von nackten Krüppeln in der Grube!»
Penny hatte versucht, Britta Vermeer anzurufen, aber es war keiner ans Telefon gegangen.
«Wir probieren es später noch einmal.» Peter hatte sie in den Arm genommen. «Jetzt lass uns erst mal ein bisschen runterkommen.»
Also hatten sie auf dem Heimweg eingekauft und dann zusammen gekocht. Sie waren beide keine Profis, hatten sich aber ein paar gute Kochbücher zugelegt und eine Menge Spaß daran, gemeinsam Dinge auszuprobieren.
Sie hatten in aller Ruhe gegessen und abgespült und saßen jetzt in dem kleinen Wintergarten, der erst vor ein paar Wochen fertig geworden war.
Das alte Haus, das sie gekauft hatten, war ziemlich heruntergekommen, und sie hatten viel Arbeit hineinstecken müssen. Aber sie hatten sich Zeit gelassen und sich über jeden Fortschritt gefreut.
Jetzt hatten sie die Schiebetüren geöffnet und genossen den Duft von Dahlien und frisch gemähtem Gras, der aus ihrem verwilderten Garten hereinwehte.
Penny hatte ihnen Pimm’s gemixt, einen Cocktail, den sie in England nie getrunken hatte – zu sehr Upperclass –, hier weckte er nette Heimatgefühle. Pimm’s mit Orangen-, Zitronen- und Gurkenstücken, Minze, ganz viel Eis und dann mit Gingerale aufgefüllt.
Sie hatte ihre nackten Füße in Peters Schoß gelegt und zwirbelte an ihren Haaren herum.
«Woran denkst du?», fragte er.
«Ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl war im Krieg hier in der Stadt. Denkst du, wir beide wären hier zu Hause geblieben? Oder wären wir geflüchtet, als die Front kam?»
«Na ja», antwortete Cox, «ich wäre wohl Soldat gewesen und gar nicht bei dir.»
Er fragte sich, wie sehr der Krieg sie in ihrer Kindheit betroffen hatte. Er war 1962 geboren, da war der Krieg lange vorbei gewesen und für die anderen in seinem Alter kein Thema mehr. Aber er war nach dem frühen Tod seiner Mutter bei seinen Großeltern aufgewachsen, und ihnen hatte das Grauen noch so tief in den Knochen gesteckt, dass es für ihn immer nah gewesen war, seine ganze Jugend überschattet hatte. Doch Penny war fast dreizehn Jahre jünger als er und in England zur Welt gekommen. Ihr Vater war Engländer, ihre Mutter zwar Deutsche, aber schon als junges Mädchen mit ihren Eltern nach Großbritannien ausgewandert.
Penny schien seine Gedanken zu lesen.
«Weißt du, bei uns gibt es so eine Art Familienwitz: Mein Vater sagt immer, für ihn sei der Krieg ein Segen gewesen. Er kommt aus dem Londoner East End, du weißt schon, nicht gerade die feinste Adresse. Sein Vater schlug sich mit irgendwelchen Gelegenheitsjobs durch, und seine Mutter trank die meiste Zeit. Bei Kriegsbeginn wurde sein Vater eingezogen, und die Mutter musste in einer Rüstungsfabrik arbeiten. Als die Bombenangriffe auf London begannen, hat man die Kinder evakuiert, aufs Land geschickt, allein, zu irgendwelchen Menschen, die bereit waren, die Stadtbrut aufzunehmen und durchzufüttern. Für viele Kinder war das schrecklich, sie kamen zu Leuten, die sie wie
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