Totenacker
begann mit der äußeren Leichenschau. Er tastete Gliedmaßen, Brustkorb und Abdomen ab, untersuchte den Schädel, schaute in Ohren, Nase und Mundhöhle.
«Hm, das hat der Bestatter wohl übersehen», stellte er fest. «Erbrochenes.»
Er holte ein Becherglas und einen Löffel und begann, die Flüssigkeit auszuräumen.
Bernie zwang sich, den Blick nicht abzuwenden.
«So», meinte Bonhoeffer dann. «Jetzt müssen wir ihn auf den Bauch drehen. Warte, ich zeige dir, wie man am besten anfasst.»
Bernie stellte sich recht geschickt an. «Man braucht schon Kraft», bemerkte er. «Wie kriegt Marie das hin?»
Bonhoeffers Augen über der Maske waren von Schmunzelfältchen umgeben. «Genau wie ich – mit Hilfe.»
Dann tastete er wieder den Körper ab, besonders gründlich Nacken und Schädel.
«So, jetzt das Ganze wieder zurück.»
Diesmal ging es noch glatter.
«Wenn du irgendwann einmal einen Ferienjob brauchst …», lächelte Bonhoeffer.
«Eine Menge Blutergüsse», erklärte er dann und deutete auf die Stellen. «Und dies hier sind Abschürfungen, großflächig, da muss die Schutzkleidung abgeschält worden sein.»
Er trat vom Tisch zurück.
«Der Tote hat eine Beckenfraktur, und der linke Arm sowie das linke Bein sind völlig zertrümmert. Die Halswirbelsäule und der Schädel scheinen intakt, aber das werden wir später durch Röntgenaufnahmen verifizieren müssen. Jetzt wollen wir erst einmal schauen, was uns sein Innenleben erzählt.»
Bernie verschränkte die Hände. «Das ist jetzt der Moment, in dem ich normalerweise das Weite suche.»
«Verständlich», nickte Bonhoeffer und rollte den Instrumententisch heran. «Wenn man selbst etwas zu tun hat, ist es gleich leichter.» Er hielt Schnittges eine große Pinzette hin. «Aber du musst natürlich nicht.»
«Ich probier’s.» Bernie atmete hörbar aus. «Aber ich will kein Hohngelächter hören, wenn ich doch noch umkippe.»
Bonhoeffer nahm das Skalpell zur Hand. «Du siehst eigentlich nicht so aus, als würdest du zu Schwächeanfällen neigen.»
Eine knappe Stunde später wussten sie, woran Gereon Vermeer gestorben war. «Milzruptur und Aortenabriss», sagte Bonhoeffer, «eins davon hätte schon gereicht. Jetzt kommt die feinfieselige Arbeit: Mageninhalt, Blutproben, Gewebeschnitte.»
Er streckte seinen langen Körper und drückte sich die Faust ins Kreuz. «Aber das verschieben wir auf morgen. Jetzt bin ich hungrig und ehrlich gestanden auch ein bisschen schlapp.»
Er zog die Handschuhe aus und die Maske herunter. «Chapeau, Bernie, du warst eine echte Hilfe.» Dann grinste er. «Übrigens, an deiner Stelle würde ich jetzt keinem unter die Nase treten. Nimm erst mal eine ausgiebige Dusche und stopf deine Kleider gleich in die Waschmaschine. Es kann auch nichts schaden, während der Heimfahrt die Autofenster geöffnet zu haben.»
«Wat is’ dat denn für’n komischer Heiliger?» Ackermann wirkte wie erschlagen, als sie Hetzel endlich losgeworden waren. «Un’ wie der spricht! Dat macht einen ganz bekloppt. Mutig wie ’ne Maus, ich glaub, der dreht schon am Rad, wenn der Briefträger ’ne Viertelstunde später kommt wie sonst.»
Viel hatten sie für Hetzel erst einmal nicht tun können. Sie hatten die Anzeige durchgelesen und eine Kopie angefertigt.
«Was denn für ein MON?», hatte Hetzel immer wieder gefragt. «Was denn für ein MON? Ich weiß noch nicht mal, was das ist?»
Sie hatten ihm von genverändertem Mais erzählt, von Monsanto und von den Patenten.
Hetzel hatte feuchte Augen bekommen und wiederholt: «Mit so was hab ich nichts zu tun? Ich doch nicht. Davon weiß ich doch gar nichts?»
Dann hatten sie ihm zu erklären versucht, dass er sich einen Anwalt nehmen müsse. Ackermann war in sein Büro gelaufen und hatte eine Liste von Anwälten besorgt, die schon einmal mit ähnlichen Fällen zu tun gehabt hatten.
«München?», war Hetzels entsetzte Antwort gewesen, als er nach langem Hin und Her einen Blick auf die Liste geworfen hatte. «Ein Anwalt aus München? Wer soll den denn bezahlen?» Dann war er trotzig geworden. «Ich zahle gar nichts! Ich habe doch nichts getan?»
Und noch einmal hatten sie versucht, ihm zu erklären, wie die Dinge zusammenhingen, wer dahintersteckte.
Ackermann hatte in seiner Verzweiflung versucht, Piet Zomer anzurufen – vielleicht wusste der Rat –, aber Zomer war nicht mehr in seinem Büro gewesen, das Handy hatte er ausgeschaltet, und seine Privatnummer hatte Ackermann nicht.
«Wieso hab
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