Totenbeschwörung
Tür stand, auf der anderen Seite jenes Gucklochs. Nicht dass sie sich etwas von Nathan versprach, noch nicht! Doch wenn die Nacht tatsächlich so lang werden sollte, wie Nathan annahm ...
Dies war jetzt etwa dreieinhalb Stunden her. Nun lagen sie einander in den Armen und schliefen.
Wie es genau passiert war, konnte keiner von beiden mit Sicherheit sagen. Doch je später es wurde, desto tiefer sank die Temperatur in der Zelle, weil die Energiezufuhr in Perchorsk nachts gedrosselt wurde. Und da sie sich nicht bewegten, spürten sie die Kälte nur umso mehr. Schließlich hatte Siggi sich zu ihm aufs Bett gesetzt und war ein bisschen näher gerückt, um es etwas wärmer zu haben. Irgendwann hatte es sich ergeben, dass sie sich in seine Arme sinken ließ. Sie hatte die Decke über ihn und sich gebreitet, und als er auf ihre körperliche Nähe reagierte, war das, was er ihr zu »erzählen« hatte, auf einmal nicht mehr so wichtig gewesen ...
Als ihre Finger begannen, seinen Körper zu erforschen, hatte er seinen Geist vor ihr verschlossen und sie gewarnt: »Wenn ich dich liebe, werde ich an Misha denken ...« Was auch sonst, es war ja erst vier oder fünf Erdentage her, dass er sein junges Weib auf der Sonnseite zurückgelassen hatte.
»Dann darfst du mich eben nur mit deinem Körper lieben.« Damit schirmte auch sie ihren Geist ab, um ihre Gedanken zu verbergen.
»Du wirst trotzdem wissen, woran ich denke!«
»Aber ich werde ihr Gesicht nicht vor mir sehen!« Und was ich nicht weiß ... »Ich stelle mir einfach vor, du meinst nur mich. Und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Ich weiß doch, dass du es willst.«
»Und du?«
Sie nahm seine Hand, führte sie an ihre Brust. »Ich will es, wenn du es willst. Wer weiß, vielleicht haben wir nie mehr die Gelegenheit dazu. Und ich weiß nicht, ob ich mehr für dich tun kann!«
»Aber willst du es auch wirklich?«
»Ich will dich, ja!«
»Warum? Weil ich anders bin? Oder weil man es dir befohlen hat!?« In seiner Stimme lag so etwas wie Bitterkeit, dennoch hörte er nicht auf, ihre Brüste zu liebkosen. Siggi konnte nicht wissen, dass sie keineswegs die erste Frau war, die man Nathan als Köder vorsetzte.
»Wahrscheinlich weil du anders bist.« Ihr Lächeln wirkte traurig. »Befehlen kann man mir so etwas nicht! Dich lieben? Im Gegenteil, ich habe Anweisung, gerade das zu vermeiden!« Sie spürte, dass er verstand, und mit einem Mal wusste sie, dass auch er allein aus eigenem Antrieb handelte.
»Man hat es dir ... untersagt!?«
»Turkur hat gern alles für sich allein«, erwiderte sie. »Auch wenn es sich um Menschen handelt. Und wenn er etwas nicht besitzen kann, dann darf auch kein anderer etwas davon haben. Und er will uns beide besitzen!«
»Und glaubst du, dies wird dich befreien?« Seine Haut prickelte, wo ihre Fingerspitzen ihn berührten.
Sie lächelte bitter. »Wohl kaum, ich stecke zu tief drin. Nein, befreien wird es mich nicht. Aber tief im Innern werde ich sein wie du: ein Mensch, der nur sich selbst verpflichtet ist!«
Mittlerweile hatten sie kaum noch etwas an, und als Siggi sich auf ihn sinken ließ, nahm er den Duft ihrer Brüste wahr und spürte, wie weich sie waren. Nathan drang mühelos in sie ein. Doch als ihre Muskeln sich spannten und sie die Kontrolle übernahm, war ihm klar, dass sie eine erfahrene Frau war, völlig anders als Misha.
Obwohl sie die Führung übernahm, war es schnell vorüber. Beim zweiten Mal ließen sie sich mehr Zeit. Es war, als wolle Nathan ihr Herz berühren; und als der Mann aus jener merkwürdigen Welt jenseits des Tores in ihren Armen einschlief, hätte sie weinen mögen. Denn zu guter Letzt hatte sie doch einen Blick in seinen Geist riskiert. Und was sie da las, war keineswegs das, was sie erwartet hatte. Nathan dachte voller Wärme an sie. Er wollte bei Weitem nicht nur das eine und ihren Körper betrachtete er beinahe als Heiligtum.
Sie war den Tränen nahe, denn ... womöglich war Nathan der Mann, auf den sie zeitlebens gewartet hatte. Es war noch zu früh, es mit Sicherheit zu sagen, aber die Chancen standen gut, dass er es war. Es gab da nur ein Problem, und das hieß Misha!
Nathan schlief in Siggis Armen, und mit einem Mal kam ihr der Gedanke, dass sie ihm etwas geben wollte, mehr als nur ihren Körper, denn vielleicht war dies die letzte Gelegenheit, die sie je dazu haben würde. Also nahm sie ihren Jade-Clip und schob ihn in eine Tasche seiner Jacke. Sie lauschte dem regelmäßigen Pochen seines
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