Totenbeschwörung
erhob.
Dort, in der Düsternis des Waldes, war er in einen Bach gestolpert, hatte sich die Kleider vom Leib gerissen und jeden Teil seines Körpers so intensiv und heftig geschrubbt, bis sein wandelbares Vampirfleisch rot und wund war und ihm die Haut aufplatzte. In seinem entsetzten Bewusstsein löschte ein einziger schrecklicher Gedanke (den natürlich auch sein Vampirparasit mitbekam) alle anderen aus – nämlich dass er die vergangene Nacht in der Obhut aussätziger Szgany verbracht hatte, von ihnen gepflegt und versorgt worden war und sich womöglich bei ihnen ... angesteckt hatte. Bei Leprakranken!
Nichts fürchteten die Wamphyri so sehr wie die Lepra! Und Nestor hatte sich auch noch von Sonnunter bis Sonnauf bei diesen allmählich vor sich hinfaulenden Krüppeln aufgehalten, in ihrem Dorf, bewusstlos in einem ihrer Betten unter ihren Decken gelegen ...
Sie hatten ihn in dem nahe gelegenen Wald gefunden, in dem seine verletzte Flugbestie abgestürzt war. Sie hatten ihn angefasst, hochgehoben und in ihre Siedlung gebracht. Mit ihren hölzernen Löffeln hatten sie Nestor Suppe eingeflößt, während er die Luft in die Lungen sog, die sie ausatmeten! Ihre Verbände und Salben hatten die Wunden in seinem Gesicht und seine Augen bedeckt ... Doch was waren schon Salben gemessen am Fluch der Lepra? Also hatte er sich die Haut wund geschrubbt, seine verschmutzte Lederkleidung wieder angezogen und war dem Bach, nachdem er die Fassung wenigstens zum Teil wiedergewonnen hatte, erst in östlicher Richtung, dann ein Stück weit nach Norden gefolgt.
Nestor hatte sich überwiegend im seichten Wasser gehalten, im Schatten des dichten Laubwerks, das die Ufer säumte. Das Silberschrot hatte ihn beinahe geblendet, und obwohl die Aussätzigen ihm die meisten der winzigen Giftkugeln aus dem Fleisch gepult hatten, würde es noch eine Weile dauern, bis sein schmarotzender Egel ihn vollständig geheilt hätte. Indem er durchs Wasser ging, wich er Hindernissen aus. So vermied er es, irgendwo anzustoßen und weiteren Schaden zu nehmen. Doch die ganze Zeit über war er sich der allmählich aufgehenden Sonne bewusst, und ihm war klar, dass er einen Unterschlupf finden musste, ehe ihre tödlichen Strahlen durch die Bäume brachen und ihre Glut ihn erreichte.
Wenig später war Nestor an einer Stelle zusammengesunken, an der die Strömung nachließ und der Bachlauf sich verbreiterte und weit über die Ufer trat; auf einem kiesbedeckten Vorsprung in einer Höhle unter einer weinumrankten, über das Wasser ragenden Felsnase. In der Hoffnung, wieder zu Kräften zu gelangen, hatte er sich zum Schlafen ausgestreckt. Doch an Schlaf war kaum zu denken. Schließlich war er noch nicht lange auf, seit er bei den Aussätzigen eine ganze Nacht lang geruht hatte. Immer wieder ging er in Gedanken seine Lage durch und wog seine Chancen gegeneinander ab.
Eigentlich standen sie gar nicht so schlecht. Solange er bei Tageslicht hier in dieser Höhle blieb, würde er überleben. Bei Sonnunter wollte er sich auf den Weg nach Norden wagen, dabei die provisorischen Lager der Traveller umgehen, im Schein der Sterne das Grenzgebirge erklimmen und durch die Pässe in den Bergspitzen einen Ruf nach seinem Leutnant Zahar Leichenscheu, einst Saugersknecht, aussenden.
Früher einmal hatte Zahar zum Gefolge Vasagis des Saugers gehört. Nun zählte er zu Nestors Männern und hatte den Beinamen seines nekromantischen Herrn angenommen. Aus Respekt vor seinem Talent, das darin bestand, den Toten ihre Geheimnisse zu entreißen, hatten die Wamphyri von Wrathspitze Nestor den Namen Leichenscheu gegeben. Es verhielt sich jedoch keineswegs so, dass Nestor die Toten zuwider waren; vielmehr verabscheuten die Toten ihn. Was nun die Wamphyri betraf, hatten sie mit der Zeit begonnen, ihn zu respektieren. In gewisser Weise fürchteten sie ihn vielleicht sogar. Denn mit Nestor war etwas zu ihnen gelangt, was schlimmer schien als der Tod – die düstere, grauenvolle Kunst der Nekromantie, anhand derer ein Meister seine Rache selbst über den Tod hinauszutragen vermochte. Es war ein beängstigendes Talent. Doch in Wrathspitze die Toten zu malträtieren war etwas völlig anderes als hier in dieser kalten, dunklen Höhle auf den Kieselsteinen zu liegen.
So lag Nestor also da und sann darauf, die Grenzberge zu erklettern und Zahar zu Hilfe zu rufen. Dieser sollte ihn mit einem Flieger abholen und zurück in den letzten Felsenhorst bringen. Zuvor jedoch standen ihm ein anscheinend
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