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Totenbeschwörung

Totenbeschwörung

Titel: Totenbeschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Augen. »Ach, du meine Güte! Hab’ ich wieder von Jim geredet? Gott, das tut mir aber leid, Sir! Ich meine, wo er doch schon so lange nich mehr is, da könnt’ ich’s doch langsam lassen, oder?«
    Trask hob die Augenbrauen, blickte verwirrt drein und wartete ab.
    »Seh’n Se«, sagte sie, »mein Jim hat immer geredet. Gott, was konnte der reden! Wenn wir abends schlafen gegangen sind, da hat er geredet und geredet und geredet! Über Gott und die Welt und nichts im Besonderen. Ich hab’ ihm immer gesagt: ›Jim Wills, der Tag kommt, da wirst du dich noch zu Tode reden!‹ Und genau das hat er dann auch gemacht, der Gute! Einen Herzschlag hat er gekriegt. Aber ... na ja ... seh’n Se, ich hab’ mich so an die Stimme von meinem Jim gewöhnt, dass ich sie manchmal immer noch höre! Ich hab’ Mr. Harry nie gesehen und weiß auch nich, wer er is. Aber mein Jim muss ihn wohl gekannt haben, oder wenigstens hat er von ihm gehört. Er sagt nämlich immer, dass fast alle Harry Keogh kennen – oder ihn gekannt haben.«
    Das gab den Ausschlag. Es mochte zwar unzählige Harrys auf der Welt geben, aber, soweit Trask es einschätzte, nur einen Harry Keogh. Den Nachnamen des Necroscopen hatte nie jemand vor Mrs. Wills erwähnt. Zumindest hätte das der Regel widersprochen. Dass sie seinen Vornamen kannte, war leicht zu erklären. Fünf Tage in der Woche las sie ihn, deutlich sichtbar, auf dem Schild an der Tür. Aber den Nachnamen? Trask warf Chung einen Blick zu.
    David Chung dachte so ziemlich dasselbe wie sein Chef. Von Harry hatten die ESPer des E-Dezernats gelernt, dass der Tod nicht das Ende bedeutete, sondern lediglich den Übergang in einen körperlosen, reglosen Zustand darstellte. Das Fleisch mochte zwar schwach sein und letztlich dem Verfall preisgegeben, doch das Bewusstsein ging darüber hinaus. Wenn ein Mensch starb, verweste er nicht zusammen mit seinem Körper, sondern wurde eins mit der Großen Mehrheit; und während sie in eine Art Schwebezustand übergingen, eine Dunkelheit, in der nur Gedanken existierten, beschäftigten sich die zahllosen Toten naturgemäß mit dem, was sie im Leben am liebsten getan hatten. Große Künstler stellten sich weiterhin großartige Ölgemälde vor, Bilder, die sie niemals malen konnten. Architekten entwarfen perfekte, die ganze Welt umspannende Städte, die sie niemals bauen würden. Wissenschaftler waren bestrebt, die Forschungen, die sie zu Lebzeiten nicht vollenden konnten, zu Ende zu bringen, obwohl niemand je einen Nutzen davon haben würde.
    Und Jim Wills, der Mann der Putzfrau? Zeitlebens hatte er geredet wie ein Wasserfall, am liebsten mit seiner Frau. War das denn so ungewöhnlich? Wie viele einsame Menschen »hörten« wohl die Stimmen ihrer verstorbenen Angehörigen, fragte sich Trask. Laut sagte er jedoch nur: »Was hat Jim Ihnen denn sonst noch so erzählt, Mrs. Wills?«
    Womöglich schimmerte eine Träne in ihrem Augenwinkel, als sie ihn anblickte, aber sie wischte sie weg und brachte sogar ein Lächeln zustande. »Nur dass ich immer anständig sein soll und zu andern so sein soll, wie ich will, dass sie zu mir sind«, erwiderte sie. »Und dass ich daran denken soll, dass er mich geliebt hat, nur mich, sein ganzes Leben lang.«
    Trask nickte. »Das sind alles sehr gute Ratschläge«, sagte er sanft. »Aber ich meinte, über Harry. Was hat Jim Ihnen über Harry erzählt?«
    Sie zuckte die Achseln und seufzte. »Nich viel. Nur dass ich mich um sein Zimmer kümmern und alles immer tipptopp halten soll. Mehr nich. ›Meg, mein Schatz‹, sagt er immer, ›und wenn alles um dich herum vor die Hunde geht, du kümmerst dich um das Zimmer von Harry.‹ Und wenn ich ihn frage, warum, zuckt er nur die Achseln und sagt: ›Na ja, man kann ja nie wissen, wann er’s wieder brauchen wird, oder?‹«
    Sie blickte die beiden ESPer an und lächelte. Ihre Tränen waren verschwunden. »Na ja, das sagt mein Jim jedenfalls immer ...«

DRITTES KAPITEL
    Nach irdischem Zeitmaß waren drei Tage vergangen, seit der Vampirlord Nestor bei Anbruch eines langen Sonnseiten-Tages in dem Wald ein, zwei Meilen nördlich der Kolonie der Aussätzigen am Rand des Graslandes abgestürzt war. Voller Furcht und Abscheu, ja zitternd vor Angst – ganz recht, selbst Lord Nestor, Wamphyri und Nekromant, kannte dieses Gefühl – war er Hals über Kopf durch die tiefen, dunklen Wälder geflüchtet, nur weg von dem goldenen Schimmer am südlichen Horizont, an dem sich unerbittlich und drohend die Sonne

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