Totenbeschwörung
Wran aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben. Denn angesichts der bestialischen Wildheit, mit der die beiden übermächtigen Kontrahenten aufeinander losgingen, war Nestor so entsetzt, dass er sein abwegiges Verlangen, selbst ein Lord zu sein, einen Moment lang vergaß; und auf den ersten Blick hatte Wran noch am ehesten wie ein Mensch auf ihn gewirkt. Allerdings nur auf den ersten Blick ...
Später, als eine trügerische Morgenröte sich wie geschmolzenes Gold über den fernen südlichen Horizont ergoss, hatte Wran Vasagi an den Hang gezerrt, um ihn dort anzupflocken und der aufgehenden Sonne auszusetzen. Während er damit beschäftigt war, fragte er Nestor darüber aus, was er hier zu suchen habe und warum er ihm geholfen hatte. Nestor nannte ihm den Grund: Er wollte Wamphyri werden! Das brachte Wran auf einen bitterbösen Gedanken! Hier hatte er einen Vampir, der im Sterben lag, Vasagi, und dort einen jungen Szgany, der es kaum erwarten konnte, dessen Platz einzunehmen. Und warum sollte Wran es nicht tun? Schließlich war es das Mindeste, was er ihm schuldete, und so einfach zu arrangieren!
Er schickte Nestor etwas holen. Als dieser weg war, schlitzte Wran Vasagi durch Haut, Fleisch und Muskeln hindurch auf, bog die Rippen auseinander und legte das Rückgrat frei, damit er an Vasagis Parasiten gelangen und ihn aussaugen konnte. Denn für einen Vampir war Blut nun einmal gleichbedeutend mit Leben, und am besten war immer noch das Blut aus dem Egel eines anderen Vampirs, vorzugsweise eines Feindes!
All seiner Flüssigkeiten beraubt und dem Tode nahe, floh Vasagis Parasit zu guter Letzt aus seinem Wirt und brachte sein Ei hervor. Als Nestor zurückkam, griff Wran nach dem kleinen, wie eine Perle umherkullernden Kügelchen und betrachtete es mit grimmiger Genugtuung. Er war sich der Tatsache bewusst, dass Vasagis Ei, wäre er, Wran, ein akzeptabler Wirt gewesen, wie Quecksilber durch seine Haut gedrungen wäre, um sich in ihm einzunisten. Doch er trug bereits einen ausgereiften Parasiten in sich, und dieser würde jeden Eindringling im Handumdrehen verschlingen.
Dann hatte er Nestor zu sich gerufen und die Faust geöffnet, um ihm das bloß liegende Ei zu zeigen. Und als würde er ihm eine Kusshand zuwerfen, blies er es seinem überraschten Gegenüber mitten ins Gesicht!
Es war der schnellste und einfachste Weg, zum Vampir zu werden. Mehr war nicht nötig, weder der ansteckende Biss, der das Opfer erst einschlafen und dann sterben ließ, damit es schließlich als Untoter wieder erwachte, und auch kein Geschlechtsverkehr, bei dem ja ebenfalls ein Teil des Vampirs in den Körper des Opfers gelangte. In derart gelagerten Fällen ging die Verwandlung nur allmählich vor sich. Das Opfer wurde unausweichlich zum Vampir – aber nicht zwangsläufig Wamphyri. Doch wenn das Ei selbst weitergegeben wurde ...
Das Eindringen des Eies hatte Nestor Schmerzen verursacht, die er niemals für möglich gehalten hätte, hätte er sie nicht am eigenen Leib erfahren. Als er wieder genug Kraft aufbringen konnte, um auf allen vieren zu kriechen, war die Sonne schon beinahe aufgegangen. Doch dort, an einem steilen Abhang, wartete Vasagis Flieger auf ihn. In einer kräftigen Brise, die aus den Wäldern der Sonnseite herüberwehte, nickte der spachtelförmige Kopf hin und her, und Nestor war klar, was er tun musste.
Als er auf die Flugbestie zustrebte, kam er an Vasagi vorbei, der sich trotz seiner entsetzlichen Verletzungen noch immer ans Leben klammerte. Der Sauger flehte ihn an, ihn von den Pflöcken zu befreien, die ihn an den Hang fesselten. Immerhin besitze er bereits sein Ei und würde jetzt auch noch seinen Flieger bekommen. Was wolle er mehr? Er könne es sich doch gewiss leisten, sein, Vasagis, Leben zu schonen, jedenfalls was davon noch übrig war. Nestor könne ihn doch nicht einfach zurücklassen, damit er in der Sonne verging.
Nestor war reichlich unbedarft, was die Gepflogenheiten der Wamphyri anging. Wäre sein Ei bereits zu einem Egel herangereift gewesen, hätte er zweifellos darüber gelacht. Aber da seine eigenen Schmerzen ihm allzu deutlich vor Augen standen, war ihm der Gedanke daran, dass ein anderes Wesen ähnlich leiden sollte, unerträglich. Noch dazu derartige Qualen! Zu einer blubbernden Masse zusammenzuschmelzen, sich in wogenden Rauch und Gestank aufzulösen und zu einem Nichts zu verdampfen wie eine Schnecke, die man ins Lagerfeuer wirft! Also hielt er einen Augenblick inne, um die Pflöcke, die den Sauger
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