Totenbeschwörung
alles, was Trask darüber wusste – abgesehen von der Tatsache, dass Harry nicht nur einen Hund, sondern auch Menschen aus dem Jenseits zurückgeholt hatte! Noch jetzt dachte der Leiter des E-Dezernats nicht gern daran, denn er wusste, dass seine Abteilung einen furchtbaren Fehler begangen hatte und dass ESPer sinnlos gestorben waren – einer von ihnen sogar mehrmals!
Während Trask diese Gedanken durch den Kopf gingen, warf er einen Seitenblick auf Nathan und stellte fest, dass dieser ihn wie gebannt anstarrte. Er hatte seine Neugier nicht bezähmen können und sogar seine Frage so gestellt, dass Trask ihm nicht einfach zu antworten vermochte, sondern gezwungen war, darüber nachzudenken.
Selbstverständlich hatte Nathan Trasks Gedanken gelesen. Er sah den Vorwurf in dessen Augen und sagte: »Tut mir leid, aber ich musste es einfach wissen. Es erklärt so einiges, zum Beispiel warum die Toten, die Harry doch so sehr liebten, zum Schluss nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Sie fürchteten nicht allein seine Fähigkeiten als Nekromant, sondern auch die Form, die das Ganze annahm. Dass er sie ins Leben zurückzurufen vermochte ... das muss ihm eine furchtbare Macht über sie gegeben haben!«
»Ja«, pflichtete Trask ihm bei. »Dieselbe Macht, über die Janos Ferenczy verfügte. Denn auch die Toten kann man nur so lange quälen, bis sie zu Staub zerfallen. Aber anscheinend vermochte Janos sie selbst noch aus ihrer Asche wiederauferstehen zu lassen, um sie wieder und wieder zu foltern. Harry hat dergleichen nie getan, aber er hatte die Macht dazu. Und wenn er gewollt hätte ...«
»Seit der Sache mit Scofield habe ich mit einigen Toten gesprochen«, sagte Nathan nachdenklich. »Sogar mit einer Handvoll, die meinen Vater noch persönlich gekannt haben. Aber keiner von ihnen hat auch nur ein einziges Wort über diese andere Seite seiner Persönlichkeit verloren!«
Erneut warf Trask ihm einen Blick zu. Womöglich lag so etwas wie Ungewissheit, vielleicht sogar Angst in seiner Miene. »Und wenn du zur Großen Mehrheit zählen würdest – hättest du es erwähnt?«
Zek hatte eine Zeit lang geschwiegen. Nun sagte sie: »Nathan, ich möchte nicht, dass du in Bezug auf Harry irgendwelche Zweifel hegst. Auch als er am Ende war – als Vampir und Nekromant, von den Lebenden wie den Toten verlassen, sodass er schließlich nach Starside fliehen musste –, war er immer noch Harry. Er hat niemandem einen Schaden zugefügt. Im Gegenteil, er hat sich um alle, um jeden Einzelnen von uns gesorgt! Um mich, um ein Mädchen namens Penny, das er von den Toten zurückgeholt hatte, selbst um Ben hier und das E-Dezernat. Er hat uns niemals verraten, kein einziges Mal. In Wahrheit haben wir ihn im Stich gelassen. Vergiss das nicht, wenn du an deinen Vater denkst, und handle entsprechend!«
Mit einem kaum merklichen Nicken deutete Nathan an, dass er verstanden hatte. Er würde es nicht vergessen. Doch seine Neugier war damit noch lange nicht befriedigt ...
Auf dem Rückweg nach London nutzte Trask die Gelegenheit, einen Zwischenstopp in Hartlepool einzulegen, wo sie übernachteten. Dabei ging es ihm weniger um die landschaftlichen Besonderheiten des Ortes, auch wenn der nunmehr fast ein halbes Jahrhundert währende Niedergang der ehemaligen Industrieansiedlung zum Stillstand gelangt war, als vielmehr darum, dass Harry Keogh hier gelebt hatte, ehe er vom E-Dezernat rekrutiert worden war. Harry hatte hier gewohnt, und zuvor in Harden Village, nur wenige Kilometer entfernt, damals noch der Standort einer florierende Zeche.
Am Abend fuhren sie nach Harden und Trask zeigte Zek und Nathan Harrys alte Schule. Das Gebäude war rußgeschwärzt und stand seit Langem leer. Nichts regte sich darin. In Sichtweite befand sich eine verfallene Eisenbahnbrücke, die auf den Abriss wartete. Zwischen den baufälligen Mauerbögen hindurch konnte man grau die Dünung der Nordsee sehen.
Nathan hatte mittlerweile begriffen, dass Trask sich zu Zek hingezogen fühlte – ein Blinder hätte dies bemerkt –, und ihm entging auch nicht, dass Zek allmählich darauf reagierte. Da er davon ausging, dass sein Mentor gern eine Weile mit ihr allein verbringen würde, schlug er den beiden, nachdem sie einen Rundgang um die Schule gemacht hatten, vor, dass sie doch einen Spaziergang unternehmen sollten, während er die Atmosphäre des Ortes auf sich wirken ließ.
Zum einen wollte er, dass die beiden einmal eine Zeit lang ohne ihn miteinander plaudern konnten,
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