Totenbeschwörung
schnellen – direkt in Nestors Gesicht. Nestor sprang auf, stieß dabei seinen Sessel um, während er sich zurückwarf, und spannte in den wenigen ihm verbleibenden Augenblicken die Armbrust. Gore schäumte vor Wut und befand sich bereits mitten im Sprung. Zu spät bemerkte er die Waffe in Nestors Hand. Nestor hatte keine Zeit mehr zu zielen. Doch das brauchte er auch nicht. Er hob die Armbrust und ... schoss!
Der Bolzen traf Gore genau zwischen die Augen, zerschmetterte ihm den Nasenrücken, durchschlug sein Gehirn und blieb erst stecken, als die Spitze inmitten splitternder Knochen und spritzenden Blutes am Hinterkopf wieder austrat. Er war tot, bevor er den Boden berührte, zumindest so tot, wie ein Vampir nur sein konnte, solange er noch den Kopf auf den Schultern trug. Sein Mund klappte zu, ein Speichelfaden rann ihm am Mundwinkel herab. Doch seine Augen waren blicklos und in den ausgestreckten Händen lag keine Kraft mehr.
Nestor trat behände zur Seite, als Gore mit voller Wucht auf dem glänzenden Steinboden aufschlug und noch ein Stück weit schlitterte. Selbst jetzt hatte Gore eine Chance, wenn auch schwer verletzt und stumm, zu überleben. Natürlich würden sein wandelbares Fleisch und seine Knochen gesunden und zumindest ein Teil seines Gehirns wieder heilen. Doch in Nestor regte sich der Vampir, und er hatte nicht vor, dies zuzulassen. Diese Lords und die Lady hegten Zweifel daran, ob er auch wirklich zu ihnen passte. Nun, er war Wamphyri und konnte es ihnen ebenso gut gleich beweisen!
Auf dem Tisch lag ein großes Tranchiermesser. Wenn Nestor wollte, könnte er Gore damit den Kopf abschneiden. Doch er sah eine andere, wesentlich einfachere Möglichkeit.
Erstaunlicherweise hatte es der gestürzte Leutnant geschafft, sich auf alle viere aufzurichten. Mit hängendem Kopf kniete er da. Blut und Hirnmasse tropften ihm auf den Boden, und er zitterte wie ein Hund, dem man das Rückgrat gebrochen hat. Er lallte undeutlich vor sich hin, ein Schwall sinnloser Laute drang aus seinem grauenhaft verzerrten Mund. Nestor ließ die Armbrust fallen, ging zu ihm, packte ihn mit beiden Händen am Schopf und zerrte ihn an ein Fenster. Auf Händen und Knien rutschte Gore in Blut, Schleim und Hirnflüssigkeit auf einen aus Knorpel gedrechselten Balkon hinaus. Nestor trat hinter ihn, setzte ihm einen Fuß fest aufs Hinterteil und stieß zu. Ein Teil des Balkons zerbarst, und Gore stürzte mitsamt den Trümmern ins Leere.
Da draußen ging es fast einen Kilometer tief hinab und unten gab es nichts als Geröllhaufen, Erde und nackten Fels. Der Aufprall würde Gore vollkommen zerschmettern, und um das, was von ihm übrig blieb, würden sich die flugunfähigen Kampfkreaturen streiten, die Gorvi der Gerissene als Wächter hielt ...
Nestor wandte sich vom Fenster ab und hob, indem er zurück an die Tafel ging, seine Armbrust auf.
Gorvi fand als Erster die Sprache wieder. Boshaft wie eh und je deutete er auf Nestors Waffe und sagte: » So etwas ist bei uns verboten! Nicht nur in der Wrathspitze, sondern in der gesamten Feste!«
Canker hieb mit der flachen Hand auf den Tisch und bellte: »Aber wir haben schließlich alle gewusst, dass er sie hat. Er ist doch ein Szgany, oder? Und sie tragen nun mal diese Dinger. Ein Szgany, aye, und er ist noch nicht mal ganz trocken hinter den Ohren. Wir haben ihm bloß nicht zugetraut, dass er den Mumm haben würde, seine Waffe auch zu benutzen!«
Nestor stand neben seinem umgestürzten Stuhl, hielt die Armbrust an der Schusspinne hoch über den Kopf und sagte: »Wenn diese Waffe euer Missfallen erregt, dann erregt sie auch meines. So sei es.« Mit voller Wucht schlug er sie gegen den Rand der Tischplatte, sodass sie zerbrach. »Ich jedenfalls habe keine Verwendung mehr dafür, nun, wo ich Vasagis Handschuh habe.« Zu Canker Canisohn gewandt fuhr er fort: »Du irrst, Canker. Mag sein, dass ich einmal ein Szgany war, doch das ist vorbei.«
Das waren kluge Schachzüge. Alles war überraschend und Schlag auf Schlag gekommen und hatte die Aufmerksamkeit der an der Tafel Versammelten gefesselt. Mit gerunzelter Stirn, schweigend, starrten sie Nestor ein paar Sekunden lang an. Dann verzog Wran das Gesicht zu einem, wenn auch schiefen Grinsen und blickte an der Tafel entlang zu Wratha. »Mylady«, sagte er, »ich erinnere mich, dass Ihr etwas über Euren eigenen Weg zur Macht erwähnt habt. Wenn die Geschichten, die ich gehört habe, der Wahrheit entsprechen, war das ebenfalls eine recht blutige
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