Totenbeschwörung
seinerseits auf ihn losging. Doch verwundet war der Sauger noch gefährlicher. In dem Kampf, der darauf folgte, erlitt ich schwere Verletzungen, hauptsächlich am Rücken. Ich habe vor, die Narben zu behalten, damit jeder sich davon überzeugen kann, mit welcher Wildheit Vasagi gekämpft hat. Vielleicht ergibt sich ja einmal eine Gelegenheit, bei der ich mich dazu bewegen lasse, sie euch zu zeigen ...«
Wran verstummte. Als sein Schweigen ewig zu währen drohte, warf Gorvi der Gerissene ein: »Das ist ja alles schön und gut, das gebe ich gerne zu. Es erklärt aber noch lange nicht, wie Nestor an Vasagis Ei gekommen ist. Hat er es ehrlich errungen oder wurde es ihm auf eher unrechtmäßige Weise ... vermacht? Das heißt, nicht vom Sauger selbst, sondern von demjenigen, der ihn überwunden hat, Wran? Du wirst zugeben, dass das eine interessante Frage ist. Denn hier sitzt Gore Saugersknecht, Vasagis oberster Statthalter und rechtmäßiger Anwärter auf die Saugspitze. Soll er nun diesem Nestor weichen? Das ist, gelinde gesagt, ein unübliches Vorgehen.«
»Bah!«, machte Wratha. »Was ist daran denn so unüblich, Gorvi? Erinnere dich doch einmal daran, wie du an die Macht gelangt bist! Ich jedenfalls denke oft daran, wie es bei mir gewesen ist. Die Macht zu erlangen, ist das Entscheidende, und nicht wie man sie erlangt hat. Aye, sie zu erringen und den Willen dazu zu haben! Und doch ... will mir scheinen, deine Frage ist berechtigt: Ist es aus Bosheit geschehen, in böser Absicht von Wran dem Rasenden ersonnen, oder war Nestor ganz einfach empfänglich dafür? Und ich frage noch etwas: Falls Letzteres, wie ist das möglich? In meinem ganzen Leben habe ich noch nie von einem Traveller gehört, der sich gewünscht hätte, Wamphyri zu sein – jedenfalls nicht bis heute!«
Canker Canisohn richtete sich in seinem Sessel auf, hieb mit der flachen Hand auf den Tisch und bellte: »Da müssen wir eigentlich nur einen fragen!« Zu Nestor gewandt, der bisher still dagesessen hatte, meinte er: »Und zwar dich, Nestor! Du trägst das Ei eines Vampirs in dir. Aber hat es dich danach verlangt, Wamphyri zu sein, oder wurde es dir aufgezwungen?«
»Was, zum Teufel, macht das denn für einen Unterschied?«, brüllte Wran und sprang auf. »Wratha hat es ganz richtig erkannt. Was allein zählt, ist die Macht zu erlangen. Und was die Eier angeht: Hinterlassen wir sie nicht jedem, dem es uns beliebt? Natürlich, sobald wir die Gelegenheit dazu haben! Nun, als ich Vasagi den Sauger zum letzten Mal sah, blieb ihm überhaupt keine andere Wahl. Ich pflockte seinen verstümmelten Körper an die Erde, damit er in der Sonne verbrannte. Und jetzt wünschte ich mir, ich hätte seinen Egel und sein Ei mit ihm verbrennen lassen!«
»Kann ich etwas dazu sagen?«, knurrte Gore Saugersknecht, allerdings leise. Als aller Blicke auf ihn gerichtet waren, fuhr er fort: »Mir scheint, dass Lord Wran das Ganze herbeigeführt hat. Nicht um mich an der Nachfolge zu hindern – natürlich nicht, denn noch bin ich ein Nichts – sondern um sich an seinem Erzfeind zu rächen, Lord Vasagi, der mein Herr war. Dass dieses ... Unschuldslamm das Ei des Saugers erhalten hat, mutet einen doch wie ein schlechter Scherz an. Natürlich hat Wran ihn eingeschüchtert und nun hat er Angst vor uns. Also sitzt dieses unwürdige Gefäß nur stumm da, ohne ein Wort zu sagen, und betet, dass dies alles nur ein Traum ist. Ich dagegen würde mit Freude danach streben, Herr der Saugspitze zu werden. Nur verhält es sich so, dass sich bereits ein anderer Vasagis Ei unrechtmäßig angeeignet hat. Zweifellos wurde es meinem Herrn aus dem Leib gerissen oder es hat ihn bei seinem Tod verlassen. Das halte ich auch für den einfachsten Weg, es wieder zu erringen – und zwar jetzt, noch ehe das Ei zum Egel reift oder vielmehr solange der Vampir noch eine Kaulquappe ist. Deshalb fordere ich diesen Nestor zum Zweikampf heraus. Die Zeit, den Ort und die Art seines Todes mag er selbst bestimmen.«
Gore hatte recht. Tief in Nestors Innerm war Vasagis Saat bislang nicht mehr als eine Kaulquappe. Dennoch hatte sie bereits eine Ahnung davon, welche Kraft in ihrem Wirt steckte – und sie kannte seine Schwächen. Doch dienten diese letztlich nur den Absichten des Parasiten, kamen ihm regelrecht zugute. Nestor hatte keine Vergangenheit, nichts, woran er sich festhalten konnte, und vermochte der schleichenden Verwandlung, die sich in ihm vollzog, darum auch nichts entgegenzusetzen. Andererseits
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