Totenbeschwörung
welche die Lady zu dem Dach hatte. Und sie war nicht allein hierhergekommen. Eine ihrer kleineren persönlichen Kampfkreaturen begleitete sie.
Wrathas Lachen klang fröhlich wie das eines jungen Mädchens. Doch nun erstarb es langsam. »Oh, heißt das etwa, ich lenke dich ab, Nestor?«, fragte sie mit einer Unschuldsmiene, während sie aus dem Türmchen trat und sich in ihrem Kleid aus Strängen schwarzen Fledermauspelzes präsentierte, das weit mehr enthüllte, als es verbarg. »Aber ich hoffe doch, ich bin wenigstens eine angenehme Ablenkung. Jedenfalls habe ich es nicht böse gemeint. Immerhin wohne ich hier. Ich komme oft hierher, um den Ausblick zu genießen. Oh, ein-, zweimal habe ich dich schon beobachtet und gesehen, welche Fortschritte deine Verwandlung macht. Und ich muss sagen, was ich da gesehen habe, gefällt mir!«
Zehn Schritte von Wratha entfernt blieb Nestor stehen, als sich hinter ihr etwas Dunkles erhob und mit den Schatten im Innern des Türmchens verschmolz. Ob sie mich mit Absicht hierher gelockt hat?, fragte Nestor sich. Er hatte seinen Kampfhandschuh zurückgelassen. Nutzlos baumelte er vom Sattel seines Fliegers. Doch was machte das schon? Selbst mit seinem Handschuh hätte er nicht die geringste Chance gegen eine noch so kleine Kampfkreatur. Das in etwa ging ihm durch den Kopf, während er dastand und wütend die Lady und die schattenhafte Gestalt in dem Türmchen hinter ihr anfunkelte. Doch im nächsten Augenblick dachte er:
Das ist doch lächerlich! Was denke ich denn da? Ich lande absichtlich und ungebeten auf ihrem Gebiet, nähere mich ihr voller Zorn und erwarte prompt einen Zweikampf! Auch noch mit einem Krieger! Das ist doch verrückt! Anscheinend hat mir das Fieber in meinem Körper das Hirn versengt!
Seine Gedanken überschlugen sich, jagten einander in wirrer Folge, und er machte sich gar nicht erst die Mühe, sie zu verbergen.
»Aha!«, sagte Wratha. »Er erhebt sich also!«
Überrascht blickte Nestor sich nach allen Seiten um, sah jedoch niemanden. »Wer denn?«
Sie lächelte ihn boshaft, vielleicht auch herausfordernd, an. »Nun, dein Egel, mein junger Lord! Der Parasit in dir! Er ist dabei, die ihm gebührende Stellung einzunehmen.«
Das erklärte einiges. Es war der Hinweis, der Nestor gefehlt hatte. »Ich ... ich habe mich schon gewundert, was mit mir los ist«, sagte er lahm.
»Das geht jedem so«, erwiderte sie, »wenn man das Fieber zum ersten Mal spürt, die grenzenlose Kraft und ungezügelte Leidenschaft. Aber wenn ich dich mir so ansehe ... nun, dann ist es ganz offensichtlich! Dein Parasit hat sich erhoben und ist eins mit dir geworden. Ja, du bist jetzt Wamphyri! Du brauchst dir keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie du dein Ziel erreichst, Nestor. Du bist bereits angekommen! Bald wird dein Fieber vergehen. Dann ist die Verwandlung abgeschlossen und du bist wieder Herr deiner selbst. Zumindest wirst du das glauben.«
In gewisser Weise schockierten ihn ihre Worte, andererseits fühlte er sich geschmeichelt. Doch war es nun Bosheit oder Überheblichkeit, etwas in ihm veranlasste ihn zu erwidern: »Hat denn je ein Zweifel daran bestanden?«
»Ich glaube nicht.« Sie warf den Kopf in den Nacken.
»Du glaubst es nur?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, es musste so kommen. Und wenn die Verwandlung länger gedauert hätte, glaubst du vielleicht, ich hätte das Ultimatum, das Gorvi der Gerissene mir gestellt hat, abgewartet und zugelassen, dass sie mich rauswerfen? Hah! Gorvi und mir ein Ultimatum stellen! Das ist mir der Richtige! Erst hätten sie meine Stätte erobern müssen, und selbst dann hätten mich keine zehn Pferde herausgebracht! Glaub mir, der Sauger verfügte über Ungeheuer, die den deinen in nichts nachstehen! Nun, und jetzt gehören sie mir.«
Sie klatschte in die Hände. »Du steckst so voller Tatkraft, Nestor! Das kommt alles von deinem Egel! Aber wenn du nicht so stark wärst, wäre die Verwandlung auch nicht so schnell vor sich gegangen. Du siehst also, du und dein Parasit, ihr seid wie füreinander geschaffen. Du bist ... stark, aye.« Die von ihrem Stirnreif überschatteten Augen ruhten auf ihm. »Sieh dich doch nur einmal an. Du warst nichts als ein Knabe und nun bist du ein Mann. Du warst – oh, über einsachtzig groß. Aber jetzt bist du noch um einen halben Kopf gewachsen! Du warst ein hübscher Junge ... nun ja, anziehend, denke ich, aber irgendwie fehlte dir der letzte Schliff. Und jetzt bist du düster, unheimlich, voll
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