Totenbeschwörung
bekam Nestor ihren geistigen Ruf mit und sah auch sofort das Ergebnis: Ihre Kampfkreatur kam heran!
Es handelte sich um einen der Krieger, die Nestor im großen Saal der Wrathspitze gesehen hatte. Wenn die Kreatur sich aufrichtete, maß sie gut und gerne drei Meter, allerdings wirkte sie trotz ihrer Größe gedrungen. Das Wesen hatte einen zentimeterdicken Panzer aus graublauem Chitin und schien nur aus Klauen und spitzen, dolchartigen Zähnen zu bestehen. Das Gesicht war riesig und grau wie Schiefer. Mit der fliehenden Stirn und dem fliehenden Kinn wirkte es irgendwie rattenhaft und doch auch beinahe wieder menschlich. Nestor wusste, warum. Das Wesen war tatsächlich einmal ein Mensch gewesen! Aber die Augen standen zu weit auseinander. Sie saßen an den Seiten und erlaubten der Bestie einen Rundum-Blick. Sie hatte kurze Hinterbeine und lange Greifarme und bewegte sich watschelnd und dennoch voller Kraft vorwärts, wie Nestor nun erkannte.
Mit dem Gebrüll eines brünftigen Hirsches, nur um einiges lauter, stürzte sich die Kreatur auf ihn. Zwar ließ Nestor von Wratha ab und rannte zu seinem Flieger, und um ein Haar hätte er es auch geschafft! Doch in seiner Hast stolperte er und ging in die Knie. Und schon war Wrathas Krieger über ihm ...
HALT!, herrschte sie ihre Kreatur an. Tu ihm nichts zuleide, halte ihn nur fest!
Auf der Stelle verstummten das Gebrüll und das wütende Schnauben. Das Wesen packte Nestor an Hüfte und Schulter und hob ihn ohne jede Anstrengung hoch, einfach so, als sei er nichts als ein Kinderspielzeug! Es zog ihn zu sich heran und betrachtete ihn; dabei drehte es den abscheulichen Kopf erst nach links, dann nach rechts, um ihn sich besser ansehen zu können. Während Wratha näher kam, hielt es ihn frei in der Luft und blies ihm seinen Atem ins Gesicht.
Der Gestank brachte ihn beinahe um! Nestor hielt die Luft an und rührte sich nicht. Er bewegte sich nicht, und er gab auch keine Widerworte, sondern wartete einfach auf den Tod. Denn sollte Wratha dies im Sinn haben, konnte sie jetzt niemand mehr davon abhalten. Doch sie hatte etwas anderes mit ihm vor.
Sie kam näher und blickte beinahe neugierig zu ihm auf. Nach und nach gelang es ihm, den Kopf zur Seite zu drehen, weg vom Gesicht des Ungeheuers und den weit aufgerissenen Kiefern. Leichenblass starrte er auf sie hinab. Er war vollkommen hilflos und wusste, dass er ihr ausgeliefert war, der Tod nur ein Kieferschnappen weit weg. Aber er war ein Wamphyri!
»Wie es aussieht, werde ich nun doch keine zweihundert Jahre mehr leben.« Wäre er dazu in der Lage gewesen, hätte er womöglich die Achseln gezuckt.
Im ersten Moment sagte Wratha nichts, sondern lächelte nur; und er sah, wie kalt dieses Lächeln war. Doch dann hellte ihre Miene sich auf. Sie schüttelte sich und sagte: »Mit Männern habe ich schon immer Probleme gehabt. Damals, als ich noch ein Szgany-Mädchen war, als Sklavin Karls des Zacken in der Zackenspitze, selbst als Wratha die Auferstandene im düsteren Felsenschlund von Turgosheim. Schwache, niederträchtige Männer sind schuld daran, dass ich nach Westen in die letzte große Feste fliehen musste, und noch nicht einmal hier habe ich meine Ruhe. Diese Dummköpfe, die sich ihre Stätten in meinem Felsenturm eingerichtet haben, bringen mich eines Tages noch ins Grab! Aber du ... zählst nicht zu den Dummköpfen. Ich denke, lebendig gefällst du mir besser. Vielleicht begehe ich damit einen Fehler, aber ...« Bring ihn zu seinem Flieger!
Ihr Krieger gehorchte. Er ließ Nestor bei seinem Reittier nieder und schubste ihn darauf zu. Nestor stolperte, bekam die Zügel zu fassen und zog sich in den Sattel. Als er die Bestie dazu antrieb, sich endlich in die Luft zu erheben, sandte Wratha ihm einen Gedanken nach: Besuche mich doch einmal wieder! Zu Nestors Erstaunen lag nicht der geringste Anflug von Feindseligkeit oder gar Bosheit in ihrer Stimme.
Was denn, etwa aus freiem Willen?, erwiderte er. Seine Worte troffen geradezu vor Sarkasmus. Im nächsten Augenblick stieß sein Flieger sich ab und Reiter samt Bestie glitten die sanfte Schräge des Daches entlang.
Nun, dann bitte mich doch hinab zu dir in die Saugspitze, erklang ihr Lachen in seinen Gedanken. Ich war erst ein einziges Mal dort, und wir sind ja immerhin Nachbarn.
Aber in der Saugspitze bin ich derjenige, der die Krieger befehligt, entgegnete er.
Er spürte, wie sie die Achseln zuckte. Zugleich wurde er aber auch ihrer Enttäuschung gewahr. So sei es, mein
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