Totenbeschwörung
runzelte er die Stirn. Er hatte das Gefühl, dass der Anblick, der sich ihm bot, nicht das ganze Bild zeigte.
Der Mann auf dem Bildschirm saß mit gekreuzten Beinen auf einem weißen Untergrund, der kaum auszumachen war und sich in nichts vom Rest der Umgebung unterschied. Lediglich die Schenkel und das Gesäß des Sitzenden hoben sich abgeflacht davon ab. Alles ringsum erstrahlte in einem grellen Licht. Mehr gab es über diesen Tunnel zwischen den Welten eigentlich nicht zu sagen. Es handelte sich um eine gleißend helle, sich in der Ferne verlierende Fläche, die dieses Universum mit einem anderen verband: das Tor!
Abermals musterte Trask den Besucher. Dabei fiel ihm eine weitere Kleinigkeit auf, die nicht ganz ins Bild passte. Alec Kyle respektive Harry Keogh hatte dichtes braunes, von Natur aus gewelltes Haar gehabt. Der junge Mann hier dagegen war strohblond. An den Schläfen war sein glänzendes Haar von grauen Strähnen durchzogen, die ihn weiser und erfahrener wirken ließen, als es seinem Alter entsprach. Außerdem trug er das Haar lang. Es fiel ihm bis auf die Schultern, was ihm beinahe das Aussehen eines Wikingers verlieh. Während Kyle beziehungsweise Keogh braune Augen gehabt hatte, waren die seinen blau wie Saphire. Trask hegte keinerlei Zweifel daran, dass es sich, genetisch gesehen, um Alec Kyles Sohn handelte. Gleichzeitig schien er jedoch Haar- und Augenfarbe seines eigentlichen (geistigen?) Vaters geerbt zu haben! Was nun den restlichen Teil seiner Züge anging, konnte niemand in Abrede stellen, dass dies der Sohn des Necroscopen war.
Als habe der Besucher etwas gehört oder auf sonst eine Art mitbekommen, fuhr er mit einem Mal hoch, bis seine in Sandalen gekleideten Füße sich abgeflacht vor dem blendend weißen Untergrund abzeichneten, und blickte direkt in die Linse der Kamera.
All dies geschah jedoch in einer mühseligen Zeitlupe – wohl ein Effekt, den das Tor hervorrief! Ein Techniker justierte das Bild, bis es den Mann zur Gänze zeigte. Mit zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn stand er da, den Blick etwas nach oben gerichtet, um in das elektronische Auge zu schauen.
Trask konnte seine Körpergröße nur schwer einschätzen, nahm jedoch an, dass er so um die einsachtzig war. Er war athletisch gebaut, hatte breite Schultern, schmale Hüften und kräftige Arme und Beine. Die Augen standen ein bisschen schräg, vielleicht lag das aber auch an dem nachdenklichen, misstrauischen Gesicht, das er machte. Seine Nase war gerade und wirkte angesichts der ausgeprägten Stirn und der hohen Wangenknochen nicht allzu groß. Die vollen Lippen über dem kantigen, leicht – allerdings nicht aggressiv, dachte Trask – vorspringenden Kinn gehörten zu einem Mund, dessen linker Winkel sich eine Idee nach unten neigte. An jedem anderen hätte dies zynisch ausgesehen, nicht jedoch bei ihm. Eher das Gegenteil: Er hatte etwas Geduldiges, Schicksalergebenes, ja Verletzliches an sich, das weit über das Maß dessen hinausging, mit dem man bei einem Wesen rechnen musste, das in einer unbekannten Umgebung, die es noch nicht einmal erkunden konnte, gefangen saß.
Die Miene des Fremden veränderte sich. Sein Blick wurde offener und das Stirnrunzeln verschwand. Nun, da die Anspannung des Mannes etwas nachließ, erkannte Trask noch etwas anderes, was ihn eindeutig an Harry erinnerte – eine Art natürlicher Unschuld und Mitgefühl. Der Besucher war Keogh zwar nicht unbedingt aus dem Gesicht geschnitten, dennoch wirkte er nicht minder gefühl- und seelenvoll als Harry. Als Trask das dämmerte, war ihm klar, dass es nicht so sehr die Äußerlichkeiten waren, auf die sich sein erster Eindruck stützte. Vielmehr hatte er aus dem Bauch heraus gewusst, wen er vor sich hatte. Seine Intuition auf der einen Seite und sein sonderbares Talent auf der anderen hatten ihm ohne jeden Zweifel zu verstehen gegeben, dass dies der Sohn des Necroscopen war. Was also störte ihn noch daran ...?
Der Besucher sah beinahe so aus, als sei er einem Western entsprungen, allerdings war seine Kleidung alles in allem zu fließend, sodass er eher wie ein Zigeuner wirkte. Er trug eine fransenbesetzte Jacke mit hohem Kragen und breitem Aufschlag. Seine Hosen waren eng geschnitten, an den Waden jedoch ausgestellt, sodass sie bequem über die weichen Lederstiefel reichten ... Was er anhatte, war aus einem fein gemusterten, sandfarbenen Material, Alligatorenleder nicht unähnlich und genauso weich und geschmeidig. Insgesamt sahen seine
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