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Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Dorfbewohner. Die Österreicher betrachteten den Leichnam mit einer Mischung aus Zweifel und Erstaunen.
    „Dem scheinen tatsächlich neue Nägel zu wachsen“, sagte ein Offizier. „Und seht euch den Bart an. Er wächst weiter!“
    „Das muss nicht unbedingt verwunderlich sein“, antwortete Tramner trocken. „Haar und Nägel haben beim Menschen ein eigenes Leben, so wie Moos, das auch an einem toten Stamm noch eine Weile weiterwächst.“ Er beugte sich vor. „Keine Anzeichen von Verwesung“, sagte er in sachlichem Tonfall zu seinen Begleitern und griff in den Sarg. Jetzt sprang ich zurück, damit ich nichts mehr sehen musste. Der Trommlerjunge würgte, konnte den Blick aber nicht abwenden.
    „Er hat liquides, balsamisches Geblüt im Mund und bewegliche Gliedmaßen“, stellte Tramner fest, während er ohne jede Regung seine Untersuchung fortsetzte.
    Der Pope beobachtete den Arzt genau. Sein Blick verhieß nichts Gutes und ich konnte mir denken, dass er sein Urteil über Jovan bereits gesprochen hatte. Bevor Tramner zum nächsten Sarg ging, gab Anđelko den Dorf bewohnern ein Zeichen und zwei Männer rannten sogleich zum Leichenhaus. Kurz darauf kamen sie mit einer Ochsenhaut, Weißdornpflöcken und einer Axt zurück. Damit war also Jovans endgültiges Ende besiegelt: Sie würden die Ochsenhaut über ihn legen, um sich vor spritzendem Blut zu schützen, und dann durch das Leder den Pflock in sein Herz schlagen.
    Doch noch war die Leichenschau nicht abgeschlossen. Die seltsame Prozession bewegte sich von Grab zu Grab. Ein Sarg nach dem anderen wurde aus dem Boden gehoben, alle neun Menschen, die seit Jovans Beerdigung verstorben waren, begutachtet.
    Ich brachte es nicht über mich, mir die Toten anzusehen, aber ich hörte genau zu, was der Arzt sagte: Keiner der Verstorbenen zeigte Spuren der Verwesung. Bei jedem Namen, den der Hadnack für den Arzt und den Schreiber laut nannte, wurde mir noch elender zumute.
    „Branka, Witwe, 55 Jahre alt. Verstorben vor acht Tagen nach einer Nacht Krankheit.“
    „Milutin, Priester, 63 Jahre alt. Verstorben vor fünf Tagen nach einer Nacht Fieber.“
    „Hajduk Jovica, 43 Jahre, und seine jüngste Tochter Ružica, 17 Jahre alt. Beide verstorben vor zwei Tagen.“
    Ich wunderte mich, als ich von den eben erst Verstorbenen hörte. Dušan war mehrmals im Dorf gewesen, aber von Ružicas und Jovicas Tod hatte er mir nichts gesagt. Ich sah mich nach Anica um, um sie nach Einzelheiten zu fragen, aber zu meiner Enttäuschung stellte ich fest, dass sie den Friedhof bereits verlassen hatte.
    Schließlich, als alle Hände schon blau gefroren waren und die Bäume lange Nachmittagsschatten warfen, richtete sich der Medicus auf und diktierte dem Schreiber die letzten Sätze. Die Männer mit den Pflöcken und der Ochsenhaut traten schon vor, als Tramner plötzlich befahl, alle Sargdeckel wieder aufzulegen. Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Menge.
    „Wie kann das sein?“, rief Pandur dem Popen zu. „Es sind doch alles Vampire! Sag diesen Herren das! Wir können die Ungeheuer hier nicht liegen lassen, sondern müssen sie sofort vernichten!“
    Doch Anđelko war bereits vorgetreten. Er sprach gebrochen in Tramners Sprache, aber er brachte sein Anliegen ruhig und deutlich vor. Er übersetzte Pandurs Worte und fügte mit dröhnender Stimme hinzu: „Wir müssen sie pfählen, ihnen die Köpfe abschlagen und ihre Leichen verbrennen. Erst dann wird das Dorf Ruhe haben.“
    Tramner schüttelte den Kopf. „Dazu brauchen wir die Erlaubnis aus Belgrad. Es gibt keinen Grund, einen Toten zu köpfen, der im Leben kein Verbrechen begangen hat. Die Justiz ist hier eindeutig: Nur Verbrecher werden damit bestraft, dass ihre Leichen nach dem Tod geschändet werden. Das hier aber waren alles unbescholtene Bürger.“
    Pandur musste wohl einiges verstanden haben, denn er ballte die Hand zur Faust. „Wenn sie nicht vernichtet werden, dann müssen wir das Dorf verlassen!“, brüllte er und fuchtelte mit seinem Stock. „Wir haben Kranke hier, die von denen da geplagt werden! Sollen die etwa auch noch umgebracht werden? Meine Dajana liegt immer noch im Bett und röchelt und quält sich zum Gotterbarmen!“
    Anđelko ermahnte ihn zur Mäßigung und übersetzte seine Worte.
    „Es bedarf einer Sondererlaubnis vom Oberkommando in Belgrad“, erklärte Tramner ungerührt. „Ohne die Erlaubnis von Prinz Karl Alexander von Württemberg wird hier niemand geköpft!“
    „Dann gehen wir eben alle!“,

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