Totenbraut (German Edition)
brüllte er. „Na los! Und du, Jasna, kümmere dich um die Pferde. Bring ihnen frisches Wasser, aber hol sie nicht aus dem Stall.“
Jelka nahm mir Majda ab, während Danica und Mirjeta aufgeregt tuschelten und auf den Mann mit Bart deuteten. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er ihnen irgendwelche Zeichen gab, und hörte am Glucksen, dass sie sich vor unterdrücktem Lachen kaum mehr halten konnten. Mir war nicht nach Lachen zumute. Ich schoss vom Tisch hoch und eilte aus der Stube. Die Morgensonne blendete mich, ich fegte um das Haus herum zu dem aus Stein gehauenen Quellbrunnen. Dort nahm ich den Holzeimer und lief damit zurück. Hastig streifte ich meine Opanken von den Füßen, stellte mich nur in Strümpfen auf den umgedrehten Eimer und spähte durch das offene Fenster.
„Bela!“, brüllte mein Vater wieder. Im selben Moment erschien der Fuß meiner Schwester auf der obersten Stiege.
Besucher, die in unser Haus kamen, vergaßen stets, den Löffel zum Mund zu führen, wenn meine Schwester durch den Raum ging. Uns dagegen fiel es längst nicht mehr auf, dass es so aussah, als würden ihre Hände ihren Körper einfach hinter sich herziehen. Und auch an diesem Tag tastete sie sich an den Wänden entlang, mal schneller, mal ruckartig und langsam, packte beherzt zu, wenn sie etwas unter ihren Fingern spürte, und sang dabei vor sich hin. Ihr Blick war von mir abgewandt, aber ich wusste ja, wie sie aussah: Ihr Haar hing ihr wirr und zerzaust ins Gesicht wie bei einer Wahnsinnigen, fettig von den ranzigen Resten des Lampenöls, das ich hineingerieben hatte. Mit Ruß hatte ich ihr Schatten unter die Augen gemalt, außerdem trug sie einen groben Kittel ohne Schürze anstelle der weißen Mädchentracht mit der bestickten dunklen Weste. Ohne die geringste Ahnung von ihrer Hässlichkeit folgte sie dem Weg ihrer Hände.
Ich musste mir ein triumphierendes Lachen verkneifen, als ich Jovans bestürztes Gesicht sah.
„Sie ist nicht schwachsinnig“, beeilte sich mein Vater zu sagen. „Nur still und in sich gekehrt. Sie wäre jedem Mann eine gute und genügsame Frau ...“
„Rabenblut und Wolfsgewitter“, knurrte Bela.
„Grundgütiger!“, murmelte Jovans älterer Begleiter voller Entsetzen.
Ich sprang vom Eimer. Oben hörte ich die nutzlosen Beteuerungen meines Vaters und endlich auch Jovans Ausruf: „Niemals nehme ich sie mit zu den drei Türmen!“
Rasch schlüpfte ich wieder in die Schuhe und stürmte zum Stall. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Vater und Jelka mich für Belas Verschandelung büßen lassen würden, aber im Augenblick war ich nur glücklich. Bela würde bei mir bleiben!
Im Tageslicht sah Jovans Hengst noch viel edler aus, über dem dunklen Haarkleid lag ein rötlicher Schimmer. Schwarz schnaubte gekränkt, als er sah, wie ich Laub und Ästchen aus den zerzausten Mähnen der fremden Pferde zupfte. Ich versorgte die Tiere und machte mich dann an das Sattelzeug. Sorgfältig wusch ich sogar den eingetrockneten Schaum von den eisernen Gebissen und Trensen, damit die Pferde sich die Mäuler nicht an den trockenen Krusten wund reiben würden. Niemand rief mich ins Haus, niemand kam zum Stall. Die Sonne stand längst hoch über dem Lindenwald, als ich wieder in die Stube trat.
Der Branntweingestank war erstickend dicht. Es wunderte mich, dass nur noch die Männer im Raum waren. Sie standen um Vater herum. Auf dem Tisch glänzten so viele blanke Geldstücke, wie ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Sie waren hübsch in Stapel von je fünf Münzen aufgeteilt. Auf Anhieb zählte ich sieben oder acht, aber es waren sicher mehr. Eben malte mein Vater mit einer in Tinte getunkten Feder ein zitterndes Kreuz auf ein Schriftstück: Ich hatte das Gefühl, als würde mein Blut kälter und kälter werden. Doch erst als sich alle Gesichter mir zuwandten, begriff ich endgültig. Der Bärtige senkte den Blick.
„Pack deine Sachen, Tochter“, befahl Vater. „Herr Jovan will noch vor Mittag aufbrechen.“
Wenn ich mich heute an die letzte Stunde in meinem Vaterhaus erinnere, sehe ich nur eine Abfolge von lautlosen Bildern, in Blitzleuchten gehüllte Momente, die mich kaum berühren. Ich sehe mich selbst schreien, aber ich kann mich nicht an alle Flüche und Beschimpfungen erinnern. „Ihr habt es meiner Mutter beim Leben Jesu an ihrem Totenbett geschworen!“ Das habe ich meinem Vater tränenblind entgegengeschleudert. „Nicht vor dem sechzehnten Jahr! In die Hölle sollt Ihr kommen, weil Ihr
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