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Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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brüchigen Schlauch. Noch nie hatte ich die Nacht unter freiem Himmel verbracht. Ameisen erkundeten meine Wunden. Fledermäuse schwirrten über den Baumkronen dahin und Wölfe heulten so nahe, dass ich mich entsetzt an den Baum drückte. Hilfe suchend griff ich nach dem Holzkreuz in meinem Bündel und presste es als Schutz vor dem Bösen an die Brust. Stumm betete ich, dass mich keine Geister und Dämonen heimsuchen sollten, von denen es in den Wäldern so viele gab. Zwei der Männer hielten Wache und gaben sich Mühe, mich nicht anzustarren. Ich schloss die Augen und kauerte mich zwischen Wurzeln und feuchtem Laub zusammen. In jener Nacht träumte ich, Jovans Sohn wäre ein hässliches Untier mit schiefen Zähnen, Haar wie Wolfsfell und Händen wie Klauen. Warum sonst sollte sein Vater eine Braut von so weit her holen und so teuer bezahlen müssen?
     

     
    Viele Tage lang hetzten wir weiter, als seien wir auf der Flucht. Zweimal versuchte ich zu fliehen, zweimal holten mich Jovans Männer mühelos wieder ein und brachten mich zurück.
    Eulenschreie folgten uns, und die Erschöpfung gaukelte mir Trugbilder vor. Ich sah die gelb glühenden Augen von Luchsen, die ich für die Augen eines Werwolfs hielt. Und ich hörte Echos, die von überall und nirgendwoher kamen. Als hätte der Höllenritt uns zusammengeschmiedet, horchte mein Pferd nun auf meine Zeichen, ging langsamer, wenn die Müdigkeit mich im Sattel schwanken ließ, trabte an, sobald ich mich in den Steigbügeln aufstellte. Ich nannte den Wallach „Vetar“, Wind, und strich abends mit geschlossenen Augen über seinen Hals, während ich mir vorstellte, Schwarz zu berühren. Längst war meine Verzweiflung nur noch eine taube, leere Stelle in meiner Brust. Wenn ich auf dem Pferderücken einnickte, träumte ich von Belas kalten Händen, die mein Gesicht umfassten, und hörte ihr Klagen. Es klang wie der todbringende Schrei der Navi – der Kinder, die ungetauft gestorben waren und nun in der Gestalt von Vögeln die Lebenden ins Verderben rissen.
    Die Männer sprachen nicht viel, nur Simeon beantwortete mir die eine oder andere Frage. So erfuhr ich, dass es auf Jovans Gut keine Hausherrin mehr gab. Jovans Frau war vor vielen Jahren gestorben, seither hatte er keine neue Frau heimgeführt. Danilo war sein einziger Sohn. „Er reitet fast besser als sein Vater“, erzählte Simeon mir. „An ihm ist ein Rittmeister verloren gegangen. Jovan kann stolz auf ihn sein.“ Es beunruhigte mich, dass er nur von Danilos Fähigkeiten sprach, niemals jedoch von seinem Äußeren oder von seinem Wesen.
    Einige Male übernachteten wir auch in Klöstern und Herbergen, von den Städten und Dörfern aber hielt Jovan sich fern. Die Zeit des Osterfestes verbrachte ich unter freiem Himmel. Von Weitem nur sah ich Belgrad, die große, weiße Stadt, bevor das Land in das waldreiche Gebiet der Šumadija überging und schließlich wieder bergiger wurde.
    Ich hatte aufgehört, die Tage zu zählen, als ich schließlich zum ersten Mal in meinem Leben einen Fluss auf einer breiten Fähre überquerte und wir durch neues Land ritten. Schroffe Hänge, an die sich an manchen Stellen Obstbäume klammerten, sanfte Hügel und Ebenen erstreckten sich hier. Überall wuchsen Buchsbaumsträucher, Weißdorn und Holunder. Insgeheim hatte ich wohl erwartet, Türken zu sehen, aber wir begegneten nur serbischen Hirten, die sich ihre schwarzen Mützen tief in die Stirn gezogen hatten. „Siehst du den Galgenbaum dort hinten?“, sagte Jovan. „Von dort aus ist es nicht mehr weit.“
    „Ist ... das der Weg zum Dorf?“
    „Die Wege führen hier in alle Richtungen“, erklärte Jovan. „Dort geht es zum Dorf und nordwärts weiter, bis hinauf zur Walachei. Und wenn du geradeaus reitest, kommst du nach Paraćin und zum Fluss Crni Timok. Reitest du zum Fluss und an der Morava entlang wieder in Richtung Belgrad, kommst du erst nach Ćuprija und schließlich nach Jagodina. Dort sitzt der österreichische Kommandant, der auch für unser Dorf zuständig ist. Und auch der Weg in das Türkenland steht dir offen – bis nach Edirne und Istanbul kannst du reiten!“
    Jovans Männer rückten mit ihren Pferden näher an mich heran, als hätten sie meine Gedanken gelesen. Ein Teil von mir träumte immer noch von Flucht.
    Nach einer ganzen Weile drehte sich Simeon zu mir um und deutete nach vorne, dort, wo zwischen den Bäumen etwas Helles hervorschimmerte.
    „Hörst du schon den Bach? Er fließt nicht weit vom Gut

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