Totenbraut (German Edition)
dass es wehtat.
„Jetzt hör mir gut zu, Dolchzunge“, flüsterte sie gefährlich leise. „Ich habe viel Geduld mit dir, aber diese Geduld hat auch einmal ein Ende.“
„Hör auf, mit mir zu sprechen, als wärst du meine Mutter.“
Der Griff wurde härter. „Solange du in unseres Vaters Haus lebst, bin ich deine Mutter. Ich beschütze dich, wo ich kann, ich sorge für euch und ich trage die Last. Meinst du, es ist leicht für mich, die Stelle der Hausherrin einzunehmen?
Glaubst du, es ist leicht, Entscheidungen zu treffen und als Schutzschild zwischen Vater und den Kleinen zu stehen, wenn du mit Schwarz auf dem Feld bist und Vater sich wieder betrinkt? Glaube nur nicht, dass du die Einzige bist, die davon träumt, das Haus zu verlassen, Jasna! Und wer weiß, vielleicht hat Nevena das ähnlich empfunden. Manchmal kann ich nachts nicht schlafen, weil ich darüber nachdenke, ob sie wirklich aus einem unglücklichen Zufall heraus vom Felsen stürzte oder ob sie nicht einfach gesprungen ist.“ Die Erwähnung unserer toten Schwester versetzte mir einen Stich. „Hätte ich Mile nicht, würde ich noch heute meine Sachen packen und mich hinter Jovan aufs Pferd setzen“, fuhr Jelka flüsternd fort. „Türkenland hin oder her. Es ist sicher nicht das schlechteste Los. Im Gegensatz zu unserem Vater scheint Jovan Anstand im Leib zu haben. Er achtet meine Verlobung und er billigt keine Gewalt. Jeder andere hätte Vater vorhin dazu aufgefordert, dir doch gleich eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen, nicht wahr?“
„Wenn du so redest, fällt es schwer zu glauben, dass du wirklich auf Mile warten willst“, erwiderte ich ebenso hart. Der Griff lockerte sich und löste sich dann ganz. Jovans Pferd schnaubte mir seinen warmen Atem in den Nacken und ohne nachzudenken trat ich einen Schritt zurück und legte meine Hand auf die Mähne, wie ich es immer bei Schwarz tat. Das war dumm, denn ich kannte das fremde Tier nicht, es hätte mich beißen können, aber der Rappe verharrte neben mir, ein gespanntes Bündel Kraft. Seine Mähne war nicht dick und borstig wie die von Schwarz, sondern weich und glatt, fast wie Frauenhaar .
„Ich werde auf Mile warten, selbst wenn es noch Jahre dauert“, sagte Jelka. Eine seltsam dünne, verletzliche Stimme im Nichts. „Er wird zurückkommen, mit genug Geld für ein Haus im Dorf. Und dann wird er sein Versprechen einlösen.“
„Welches Versprechen?“
Jelka zögerte mit der Antwort. Ich konnte ihren Duft wahrnehmen. Sie roch nach getrocknetem Rosmarin und den Kamilleblüten, die sie heute gekocht hatte, weil Majda Bauchweh hatte.
„Wenn ich Mile heirate und das Haus hier verlasse, nehme ich die Kleine und Mirjeta mit“, sagte sie leise. „Und vielleicht hole ich auch Danica noch nach.“
Ich wickelte mir das Mähnenhaar um die Finger. Plötzlich hatte ich das Gefühl, den Halt zu verlieren.
„Und Bela?“, flüsterte ich. „Und ich?“
„Glaube mir, ich würde auch euch mitnehmen, aber ich muss froh sein, wenn ich wenigstens die Kleinen ins Dorf bringen kann. Auch deshalb warte ich auf Mile: Nicht jeder Mann würde mit seiner Braut gleich auch noch drei ihrer Schwestern aufnehmen.“
Ich verstand Jelkas Entscheidung, auch wenn ich es nie zugegeben hätte. Und trotz meiner Enttäuschung wuchs die Achtung vor meiner Schwester ein ganzes Stück.
„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Ziegen den Räubern nicht mehr genügen. Du bist schnell, Jasna, und kannst auf der Hut sein, aber Bela wird ihnen wie ein Milchlamm in die Hände fallen. Was ist besser – von einem Räuber geschändet zu werden oder mit einem Gutssohn im Bett zu liegen und dafür Ehrerbietung, ein Haus, genug zu essen und Sicherheit zu haben?“
Ich schluckte. Ich konnte mir Bela – meine Bela – nicht in den Armen eines Mannes vorstellen. „Sie wird unglücklich sein.“
Jelka lachte trocken. „Sie wird im Haus sitzen, ihre Lieder singen und Söhne bekommen, und sie wird ebenso glücklich oder unglücklich sein wie jetzt auch, Jasna. Sie weiß es nicht besser.“
Heftig schüttelte ich den Kopf. „Sie würde sich vor Fremden noch mehr fürchten als vor Vater. Wäre sie sonst schon so oft weggelaufen? Und sie ist kein Stück Vieh, das man wie Handelsware mitnimmt.“
„Träumerin“, sagte Jelka bitter und seufzte tief. „Hör mir gut zu: Nur eine Hochzeit gibt uns die Möglichkeit, Bedingungen zu stellen, und auch nur solange die Männer uns noch begehren. Diese Zeit müssen wir
Weitere Kostenlose Bücher