Totenbraut (German Edition)
Schnee zu tun: Flocken auf Haut, die so leblos kalt war, dass der Schnee nicht schmolz. Mit Eiskristallen an den Wimpern. Und mit der Erinnerung an eine Tiefe, an weiße Arme, die mich umschlangen. An einen Kuss und einen Atem, der am Grund der Morava meine Lunge füllte. Ebenso erstaunlich war es, dass ich das Leben zwar zurückgelassen, das Brennen in meiner Kehle aber mitgenommen hatte. Und dieser Körper, der doch tot war, bäumte sich auf und presste Luftblasen und Speichel und Flusswasser aus mir heraus. Das Husten und Würgen schüttelte ihn, die Finger krallten sich in Uferkies. Und die Ohren hörten: Scharren, Schleifen, einen Ruf. Eisumkränzt und verschwommen war der Blick den Hang hinauf. Es war Danilo. Er schlitterte den Berg hinunter. Auf mich zu. Im nächsten Augenblick war er schon da, als hätte ich ihn herbeigezwinkert.
„Gottseidank, du lebst“, rief er.
Eine Welle schwappte über meine Wade, als er mich auf den Rücken drehte. Dann schob er behutsam seine Arme unter meine Knie und Schultern und hob mich hoch. Benommen betrachtete ich, wie das Ufer der Morava sich entfernte. Ich lebe , dachte ich im Takt von Danilos Schritten. Und als wir oben am Hang angekommen waren und Danilo mich auf einer trockenen Stelle unter einem Baum absetzte, hatte auch mein Körper diese Worte begriffen und ich begann haltlos zu zittern und mit den Zähnen zu klappern.
„Bela war hier!“, stammelte ich.
Danilo runzelte ratlos die Stirn, dann zerrte er sich die Jacke von den Schultern und legte sie um mich. „Vetar ist gestrauchelt und ich habe euch aus den Augen verloren“, murmelte er. Er nahm meine blau gefrorenen Hände und wärmte sie, während ich benommen zusah. „Du musst ins Warme!“
Doch obwohl ich schlotterte, spürte ich die Kälte kaum. Nach und nach kamen alle Bilder zurück. Das Kreuz. Yasars Gesicht. Und Matej. Matej!
„Wo ist Matej?“, schrie ich und kam auf die Beine.
Der Fluss hatte mich nicht weit davongetragen. Als wir auf dem Rücken von Danilos Pferd flussaufwärts ritten, sahen wir Šarac bald mit hängenden Zügeln bei der Anhöhe stehen. Zusammengekrümmt lag Matej neben ihm. Blut färbte den Schnee, doch er atmete. Der Räuber, der mein Leben verkauft hatte und um dessen Leben ich nun bangte, als ginge es um mein eigenes.
Ich strich ihm das Haar aus dem bleichen Gesicht, rief ihm zu aufzuwachen. Ich befahl ihm, nicht zu sterben, ich flehte ihn an und drohte ihm. Und endlich nach einer Ewigkeit regte er sich. Seine Lider zuckten, doch er öffnete die Augen nicht.
„Wenn du mich anschreist, bin ich wohl doch nicht tot“, murmelte er. Ich wusste nicht, ob ich weinte oder lachte.
„Freu dich nicht zu früh! Du bist verletzt. Wir müssen dich zu Tramner bringen!“
„Wo ... ist der Türkenschatz?“
„Ist das alles, was dich interessiert?“, zischte ich. „Er ist im Fluss versunken.“
Matej leckte sich über die aufgesprungenen Lippen und blinzelte, als würde das Licht schmerzen. „Schade“, sagte er leise. „Wir hätten einen Palast davon kaufen können, Jasna. Du und ich.“
„Hast du es gewusst?“
Ein angedeutetes Kopfschütteln. „Als ich Vampir aus der Kammer tragen wollte, da sagte er, er gehe nicht ohne das Kreuz. Und als ich es hochnahm, klapperte es darin. Ein wirklich, wirklich gutes Versteck, nicht wahr, Distel?“
Er wandte den Kopf und blickte zum Fluss. Ich folgte seinen Augen und entdeckte ein rotes Funkeln im Schnee. Ein winziges Blütenblatt aus Rubin. Es musste sich aus der Fassung des Rings gelöst haben.
„Ich habe ihn nicht gestohlen, Jasna“, sagte Matej und sah mich zum ersten Mal direkt an. „Diesmal nicht.“
Jetzt erst begann ich wirklich zu frieren.
„Danilo!“, flüsterte ich entsetzt.
Der Schlag gegen die Schläfe schien Matej schwer verletzt zu haben. Seine Pupillen waren starr und ungleich groß.
„Danilo!“, schrie ich. „Wir müssen zur Holzfällerhütte! Wir müssen den Karren holen und ihn sofort nach Ćuprija bringen!“
Und während ich noch schrie, entglitt Matej mir und verlor das Bewusstsein.
Das Dunkle und das Helle
D
ie Erinnerung an die folgenden Stunden und Tage erscheint mir heute wie ein Fiebertraum – nebelhaft und verschwommen, durchsetzt von schlimmen Träumen und Furcht: der Weg zu Tramner, das Rumpeln des Holzkarrens, Matejs Stöhnen und meine Angst davor, dass jemand uns folgen könnte. Endlose Stunden, in denen ich furchtsam auf seinen Atem lauschte und mehr als einmal verzweifelte.
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