Totenbraut (German Edition)
Sein Kopf lag schwer auf meiner Schulter und meine Finger waren schon gefühllos, so fest presste ich ihm ein Tuch gegen die Schusswunde. Noch vor dem ersten Morgengrauen endlich das Städtchen Ćuprija mit vielen gemauerten Häusern und Brücken. Tramners besorgtes Gesicht erscheint vor mir. Ich habe ihn aus dem Schlaf gerissen und sicher auch die halbe Nachbarschaft aus den Betten gebrüllt. Während er im Schein einer Lampe Matejs Verletzungen begutachtet, fällt mir der Abdruck des Kissens auf seiner Wange auf. Ich rieche den betäubenden Branntwein, der Matej eingeflößt wird, und leide bei seinem Stöhnen, während der Arzt ihm mit dem Chirurgenmesser und Tüchern die Wunden säubert. Die Wunde in seiner Seite sieht schlimm aus, viel schlimmer, als ich es vermutet hatte, und die Angst, dass Matej die Nacht nicht überleben könnte, lässt mich die Würgemale an meinem Hals, die Schürfwunden und all das andere Schreckliche vergessen.
In diesen Tagen lebte ich an Matejs Bett. Ich antwortete kaum auf Tramners Fragen und sprach nicht viel mit den Offizieren und Amtsleuten, die sich die Klinke in die Hand gaben, sondern lauschte nur Matejs Atem.
Eines Morgens wachte ich auf – vornübergebeugt auf Matejs Lager, den Kopf auf die Arme gebettet. Ich wollte gerade den Kopf heben, als ich spürte, dass eine Hand auf meinen Locken lag. Die Finger bewegten sich, zwar nur ungelenk und schwach, aber nicht mehr von der Trägheit des nahenden Todes erstarrt. Es war dieser Moment, in dem ich ihm endgültig verzieh. Am Tag von Yasars Tod hatte ich Dušan für immer verloren. Aber jetzt, zehn Tage später, hatte ich Matej gewonnen.
Noch gab es kein Aufatmen. Ein Unglück lässt uns keine Ruhe finden, das musste ich in den folgenden Wochen in Ćuprija auf bittere Weise lernen. Sobald wir es hinter uns gelassen haben und glauben, ihm entflohen zu sein, nimmt es den Wanderstock und folgt uns beharrlich. Tagsüber können wir manchmal einen Vorsprung gewinnen, aber wenn wir nachts schlafen, holt es uns immer wieder ein.
Yasar war in jedem meiner Albträume und in jedem Gesicht, das mir begegnete. Und es war umso schwerer zu vergessen, als die Untersuchungen begannen. Die Leiche des ermordeten Popen aus Kuklina war gefunden worden. Vierzehn Tage nach den Vorfällen kam Danilo in die Stadt, um mit mir nach Jagodina zum Kommandanten zu reiten, wo wir unsere Aussagen zu Protokoll geben mussten. Von Danilo erfuhr ich, dass Vampir sich vom Husten und vom Fieber erholt hatte. Er lag in Paraćin, in einem abgedunkelten Quartier bei den Österreichern. Simeon kümmerte sich um ihn. Tramner und andere Ärzte hatten den Kranken besucht und wollten ihn zur weiteren Untersuchung nach Jagodina bringen, sobald die restlichen Angelegenheiten geklärt sein würden. Ich war glücklich darüber, dass der Junge aus der Gruft doch noch in die Welt der Lebenden treten durfte. Und ich hoffte von ganzem Herzen, dass die Ärzte ihm helfen würden. Nach Anica fragte ich nicht und Danilo erwähnte sie mit keinem Wort. Die Österreicher befragten Zeugen in Medveđa und schrieben einen Bericht. Doch da der Schuldige tot war, wurde die Sache schließlich zu den Akten gelegt.
Es dauerte lange, dem Unglück davonzulaufen, aber es kamen tatsächlich bessere Tage: der erste Morgen, an dem ich aufwachte, ohne von Yasar geträumt zu haben. Der Tag, an dem ich Matej davon berichtete, dass ein Opankenmacher mir für wenig Geld eine leer stehende Hütte für den Winter vermietet hatte. Und ein besonderer Tag im November, an dem Danilo ein letztes Mal nach Ćuprija kam.
Gemeinsam gingen wir in die Kirche zu dem Popen, der uns schon mit einem Diakon und zwei weiteren Kirchendienern als Zeugen erwartete. Auf dem Tisch lagen die Papiere, die Danilo in den vergangenen Wochen gesammelt hatte. Einen Brief hatte der Pope von Jagodina geschrieben, und einer stammte aus Simeons Feder. Dazu kam ein Stapel von Zeugenaussagen von den Leuten aus Medveđa, die im Verhör durch die Offiziere ausgesagt hatten, dass Nema ihrer Meinung nach Muslimin gewesen sei und Milutin sie aus diesem Grund nicht in die Kirche gelassen hatte. Ich sagte während dieser Stunden kaum ein Wort. Es war Danilo, der sprach und vor Zeugen all das wiederholte, was in den Protokollen niedergeschrieben war. Er bestätigte, dass sein Vater Yasar, vorher bekannt als Jovans Bruder Isak, bis zum Tode dem muslimischen Glauben angehangen hatte, und dass seine Mutter Türkin gewesen sei und niemals die
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