Totenbraut (German Edition)
überwucherten Stumpf. Ich begriff, dass dieser der Überrest eines Baumes war. Im Geiste ergänzte ich ihn um Äste, die zum obersten Fenster ragten. Das Mitleid schnitt mir ins Herz, als ich mir vorstellte, wie Nema sich an brennendes Holz klammerte, um ihr Leben zu retten.
„Das tut mir leid“, sagte ich leise. „Du musst sehr gelitten haben.“
Nema gab nur ein verächtliches Schnalzen von sich. Sie ballte die Hände zu Fäusten und drückte sie in die Achselhöhlen. Komm, befahl sie mir mit einer barschen Kopfbewegung. Zurück ins Haus.
Ich war überzeugt, dass sie nun verärgert war, aber bevor wir wieder in das Haus traten, lächelte sie mir flüchtig zu.
Schlüssel für Schlüssel fand sein Schloss. Rostiges Metall knirschte, Türangeln wimmerten. Spinnen und Mäuse flohen vor unseren Schritten. Ich betrat verlassene Zimmer, öffnete Schränke und staubige Truhen.
„Gibt es nirgendwo andere Kleider?“, fragte ich Nema schließlich. „Oder Stoffe, aus denen ich mir selbst etwas nähen kann? Ich möchte nicht nur in den Kleidern von Frau Marja herumlaufen.“
Ich hatte den Namen gedankenlos dahingesagt. Er war mir schon vertraut geworden. Aber die alte Frau fuhr erschrocken herum und schlug beide Hände vor den Mund. Ich dachte schon, sie würde schreien, aber ihrer Kehle entrang sich nur ein tonloses Krächzen. Ein Laut von solchem Leid, dass ich schlucken musste.
„Verzeih mir“, sagte ich schnell. „Simeon hat mir gesagt, dass ich ihren Namen nicht vor Jovan aussprechen soll, aber ich wusste nicht, dass du auch ...“
Im nächsten Augenblick lag Nemas kalte, trockene Hand auf meinem Mund. Kein Wort mehr! , bedeutete mir die andere Hand. Verblüfft verharrte ich, ohne mich zu wehren. Noch mehr verunsicherte mich, dass Nema sich zur Tür umsah, als fürchtete sie, jemand könnte uns belauschen. Jemand? , dachte ich schaudernd. Oder ... etwas?
Niemals sagst du diesen Namen! Nemas Geste war wie ein Schrei. Niemals, hast du verstanden? Ihre Finger pressten mir schmerz haft die Lippen gegen die Zähne. Erst als ich nickte, löste sich die Eidechsenhand von meinen Lippen.
Ich hörte den Hufschlag von Simeons Pferd schon lange, bevor ich es heranstürmen sah. „Wir bekommen Gäste!“, rief er mir zu. Mein Herz machte einen freudigen Satz. Gäste! Etwas Heimeliges schwang in dem Wort mit und sofort schossen mir eine Vielzahl von Gedanken durch den Kopf: Haben wir genug Wein im Haus? Brot und Gebratenes?
„Wie viele sind es?“, rief ich zurück. „Bleiben sie über Nacht?“
„Nur zwei“, sagte Simeon, während er aus dem Sattel sprang. „Vom hiesigen Militär. Der eine ist der Contagions-Medicus, also ein Arzt für ansteckende Krankheiten. Er ist in Paraćin stationiert und heißt Tramner. Der andere ist ein Offizier. Die beiden waren heute im Dorf. Nun wollen sie sich noch die neuen Stuten ansehen und reiten morgen weiter in Richtung Jagodina. Beeil dich, sie werden in Kürze hier sein!“
Ich drehte mich um und rannte. Nur wenig später stand ich völlig außer Atem mit dem Begrüßungstrunk vor dem Haus. In aller Eile hatte ich mir ein Kopftuch und eine saubere Schürze umgebunden. Staub erhob sich in der Abendsonne, als Jovan, Danilo und die beiden Männer eintrafen. Im Gegenlicht sah ich, dass sie beide hager und hochgewachsen waren.
„Seht her, das ist sie! Meine Schwiegertochter!“, rief Jovan ihnen in der Sprache der Österreicher zu. Und auf Serbisch sagte er zu mir: „Du hast mir heute wohl Glück gebracht, Tochter. Ich habe dem Hajduken-Kommandanten und dem Hadnack guten Tabak verkauft – und vielleicht einen der Jährlinge dazu!“
„Hajduken?“, fragte ich leise. „Im Dorf ? Und wer ist der Hadnack?“
„Das hier ist Militärgebiet, Jasna. Ein ganzer Trupp der Hajduken-Kompanie von Stalać ist hier stationiert und dient als Dorfmiliz. Und der Hadnack ist der ungarische Leutnant, dem die Verwaltungsangelegenheiten des Dorfes obliegen. Das ist so, weil wir hier eine Militärverwaltung haben. Unser Glück: Die Herren zahlen gut! Und unser Geschäft werden wir heute auf jeden Fall begießen.“
Die anderen kamen vor dem Gutshaus zum Stehen. Danilo warf mir einen unergründlichen Blick zu. Wie immer, wenn ich ihn sah, wurde mir auch heute sofort unbehaglich zumute. Wir vermieden es beide, uns länger als nötig anzusehen. Ich bot den Männern Branntwein an, den sie, die Zügel noch in den Fäusten, mit einem Nicken annahmen. Den Pferden behagte der scharfe
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