Totenbraut (German Edition)
Unmensch, glaube mir. Aber er weiß sein Haus zu halten, mit allen Mitteln, wenn es sein muss. Deshalb sage ich es dir nur einmal und dann nie wieder: Versuche nicht noch einmal zu fliehen. Seit der gestrigen Nacht ist dein Platz hier und nirgendwo sonst.“
Simeon war zu höflich, um auf meinen Bauch zu deuten, aber ich verstand die Botschaft auch so. Meine Knie wurden ganz schwach. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass es tatsächlich zu spät war. Das Unglück war längst geschehen. Natürlich hatte ich gewusst, warum Mann und Frau das Bett teilen, aber erst jetzt wurde mir klar, dass es auch mit mir geschehen konnte – und vielleicht bereits geschehen war. Die Ehe war vollzogen und Jovan würde mich zurückholen, wohin ich auch gehen würde .
Ganz von selbst fand meine Hand zu Vetars Hals, als könnte er mir Halt geben. Unter der dichten Mähne fühlte das Fell sich warm und glatt an. Zu glatt. Ich hob die Mähne an und starrte auf meine Hand. Sie war voller Blut. Dort, wo Vetars schwarzes Fell nass glänzte, floss aus einem roten Mal ein schmaler Streifen Blut. Unwillkürlich schrie ich auf und stolperte zurück, entzog mich Simeons Händen.
„Es ist nichts“, beruhigte mich der alte Mann. „Gar nichts, Jasna. Nur eine kleine Wunde. Vetar hat sich auf der Weide an einem Weißdornstrauch verletzt. Deshalb habe ich ihn so kurz angebunden. Damit er nicht an der Wunde scheuert.“
Nur eine Wunde vom Strauch , hallte meine eigene Stimme in meinem Kopf. Und dennoch konnte ich meine Tränen kaum zurückhalten. Heute weiß ich, dass ich damals zum letzten Mal um mich selbst weinte. Simeon brachte mich nicht in Verlegenheit, sondern sah weg, bis ich meine Hand am Stroh abgewischt und mein Gesicht mit dem Rock getrocknet hatte.
„Es wird verheilen“, murmelte er dann und winkte mir, den Stall zu verlassen. „Alles heilt, Jasna.“
Mit wackeligen Knien trat ich in den Tag und blinzelte. Die Sonne war aufgegangen. Ich dachte nur daran, dass ich noch viele Stunden bis zur nächsten Nacht hatte. Ich dachte nicht daran, dass Dornen Wunden wie von Katzenkrallen reißen und keine fingernagelgroßen Löcher in die Haut stechen.
Der Palast der Glückseligkeit
B
isher hatte ich geglaubt, einen Platz in der Welt zu ha ben. Ich glaubte zu wissen, wer ich war und wie ich mich zurechtfinden und, wenn es sein musste, verteidigen konnte. Doch hier in der Fremde lösten sich alle Sicherheiten auf und ließen mich einsam und heimatlos zurück. Ich lebte unter Wölfen. Das hatte ich an jenem Morgen im Stall begriffen. Und ich begriff auch, dass es nun ganz an mir lag, mich zu schützen, so gut es ging. Ich musste so bald wie möglich ins Dorf gehen. Zwar mochte ich den Popen nicht, aber er war meine Verbindung zur Gemeinde. Und da ich ohne Familie war, war es nun umso wichtiger, mich schnell in die Dorfgemeinschaft einzufügen. Im Stillen hoffte ich, Frauen zu treffen, die mich willkommen heißen würden. In den Spinnstuben würden sie mir erzählen, dass sie ein ganz ähnliches Schicksal wie ich hatten. Ich würde ihre Geschichten hören, den Klatsch über heimliche Liebespaare und die Klagen über ihre Ehemänner. Nach einer Weile würde ich ihre Lieder singen und mich nicht mehr so verloren fühlen.
Doch in den ersten Wochen war an einen Gang ins Dorf nicht zu denken. Wie eine Ziege, die unter die Raubtiere geraten ist, duckte ich mich also und versuchte mich unsichtbar zu machen. Den Männern ging ich aus dem Weg, so gut ich konnte, und flüchtete mich am liebsten zu den Pferden. Jovan nannte mich „Tochter“ und lächelte jedes Mal, wenn er mich sah. Aber ich traute seiner Freundlichkeit nicht. Hinter dem Lächeln sah ich nur zu deutlich Wolfszähne aufblitzen.
Wie in meinem Vaterhaus packte ich auch hier an und versorgte die Tiere. Das bittere Wasser der Quelle mochte ich nicht, lieber lief ich zum Bach, der sich am Waldrand entlangschlängelte. Zum Stall hastete ich morgens stets mit gesenktem Kopf, während der verbrannte Turm, den ich längst „Schwarzer Turm“ nannte, mich aus hohlen Totenaugen zu beobachten schien. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas ständig den Blick auf mich gerichtet hielt. Fremder Atem rauschte bei jedem Windstoß in meinem Haar, auf den rauchgeschwärzten Mauern glaubte ich verzerrte Fratzen wahrzunehmen. „Marja“, flüsterte ich in diesen Augenblicken. Ich wiederholte den Namen wie eine Beschwörung, ich rief die Tote an, als wäre sie ein Engel, der mich beschützen
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