Totenbraut (German Edition)
konnte.
Abends legte ich ein Messer auf das Fensterbrett, das die bösen Träume fernhalten sollte, doch dieser Zauber erwies sich als wirkungslos. Immer noch rief Bela nach mir, sobald ich die Augen schloss. Das Heimweh nach ihr und meinen anderen Schwestern ließ mich beinahe verzweifeln. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich sogar nach Jelka sehnen würde, doch ich sehnte mich so sehr, dass meine Brust bei jedem Atemzug schmerzte wie im Fieber.
In den ersten Nächten saß ich in banger Erwartung im Bett, die Arme fest um die Beine geschlungen und mit so heftig klopfendem Herzen, dass ich das Pochen an meinen Knien spüren konnte. Doch als Danilo nach oben kam und das Licht löschte, spürte ich keine Hand an meinem Körper. Ich war sicher, er wusste, dass ich noch lange wach lag, ganz an den Rand des Bettes gedrückt, atemlos lauschend. Aber er berührte mich kein einziges Mal. Und wenn ich morgens aus meinen schlimmen Träumen hochschreckte, war die Bettseite neben meiner leer.
Als ich wieder zu bluten begann, war ich unendlich erleichtert, nicht schwanger zu sein. Zum ersten Mal seit dem Abschied vom Vaterhaus hob sich der schwarze Schleier, der auf meinem Leben lag, ein wenig und ließ das Sonnenlicht in meine Gedanken. Ich sah den Fohlen zu, die sich im Morgenlicht jagten, und bemerkte überrascht, wie schön das Land war. Es war mir nicht aufgefallen, dass die Pflaumenbäume längst zu blühen begonnen hatten. Der zarte Duft der weißen Blüten ließ mich freier atmen.
„Zeig mir die Vorratsräume, Nema“, bat ich die Alte. „Ich will in den nächsten Tagen ins Dorf gehen und muss wissen, was ich für das Gut besorgen muss.“
Nema, die gerade Wolle spann, sah erschreckt auf. Ich spürte sehr deutlich ihren Widerwillen, aber als ich die Arme verschränkte und ihr zu verstehen gab, dass ich nicht von der Stelle weichen würde, legte sie schließlich seufzend die Spindel auf das Fensterbrett und holte den Schlüsselbund aus den Falten ihres Rockes hervor.
An Nemas Seite erkundete ich die Vorratskammern und einen felsigen Keller unweit des rechten Turmes. Einen solchen Keller hatte ich noch nie gesehen. Unter einer mit Gras bewachsenen Klappe im Boden führten fünf steile Felsstiegen in eine schmale Gruft. Vier lehmige Gruben waren dort ausgehoben worden und jemand hatte diese Löcher mit Holzplatten verschlossen. Nema zeigte mir, dass darin Lebensmittel gelagert wurden, und holte ein kleines Fass mit Butter hervor, die nicht mehr frisch, aber trotzdem sahneweiß war. In den Gruben war es kalt und es roch erdig, aber nicht faulig oder brackig. Ich begriff schnell, dass jede davon für etwas anderes gedacht war: Butter, Milch und Käse lagerten in der ersten, rohes Kraut und Zwiebeln in den zwei anderen und Fleisch in der vierten. Als ich fragte, ob das Erdreich hier so kalt sei, weil darunter Quellwasser fließe, nickte Nema überrascht.
Wir werden Ziegen und Hühner brauchen, um stets genügend frische Milch und Eier zu haben, dachte ich bei mir, als wir wieder ans Tageslicht traten. Hinter dem Jelena-Turm wartete ein verwahrloster Kräutergarten auf eine ordnende Hand. Auf der Anhöhe wuchs Wein, doch niemand schien sich darum zu kümmern. Und ein Stück weiter vorne, neben dem Schwarzen Turm, entdeckte ich verwilderte Apfelbäume. Ich wollte zu ihnen gehen, aber Nema packte mich am Arm und riss mich so heftig zurück, dass ich aufkeuchte. Nicht zum Turm! , gebot sie mir energisch.
„Warum soll ich dort nicht hingehen?“, fragte ich, doch sie zeigte nur mit einer unwirschen Geste auf das baufällige Dach. Nichts ist dort , sagten ihre verunstalteten Hände. Nur Tauben und Dreck.
Sie wollte mich hinter sich herziehen, doch ich stemmte mich gegen ihren Griff. „Nema, warte!“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der schielende Knecht, der uns beobachtete, sich hastig bekreuzigte. Vielleicht wagte ich deshalb, endlich die Frage zu stellen, die mich schon die ganze Zeit beschäftigte. „Warum ist der Turm verbrannt? Waren es ... die Türken?“
Nema schnaubte spöttisch. Blitzschlag, kam die trockene Antwort. Niedergebrannt. Nichts zu retten.
„Du warst damals im Turm, nicht wahr?“
Nema betrachtete ihre Hände, als würden sie nicht zu ihr gehören. Im Tageslicht sahen sie aus wie aus rotem Leder zusammengeflickt.
Ich habe geschlafen. Der Blitz weckte mich. Es war laut und überall war Feuer. Dann rannte ich zum Fenster. Dort! Sie zeigte auf das Fenster weit über einem mit Efeu
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