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Totenbraut (German Edition)

Totenbraut (German Edition)

Titel: Totenbraut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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der Heiligen Jelena stand.
    „Und das hier gaukelt Euch wohl nur der Ungarwein vor, nicht wahr?“, sagte er und warf die gelbe Blume mit nachlässiger Geste neben den Becher des Gastes. Schwarzer Blütenstaub puderte den Tisch und hinterließ eine Spur auf dem Ärmel des Uniformrocks. Ein fleischiges, ovales Blütenblatt, glatt und glänzend wie Wachs, fiel ab und schaukelte auf dem Tisch wie ein goldenes Boot auf nussbraunem Wasser.
    „Ist das ein Tulipan oder nicht?“, fragte Jovan leise. „Solche Blumen sind so kostbar wie Gold. Es hätte mich das Leben kosten können, an diesen Schatz zu gelangen, aber wie ihr seht, stehe ich vor euch.“
    Nun schien sogar der Ungar beeindruckt. Er wischte sich über den Mund, ohne zu bemerken, dass ein Streifen Blütenstaub seine Wange beschmutzte. Ich erwartete, dass er etwas erwidern würde, aber er schwieg und starrte nur die Blüte an. Der Medicus kratzte sich an der Nase und verbarg dabei ein Lächeln hinter seiner schmalen Hand.
    „Sultan Ahmet liebte Blumen“, fuhr Jovan fort. „Manche Sorten ließ er sich aus Persien bringen. Seine Gärten am Goldenen Horn waren berühmt. So weit das Auge reichte, erstreckten sich die Beete.“ Er lächelte versonnen und in seinen Augen irrlichterte der Schein der Kerzenflammen. „Jedes Jahr im Frühling feierte Ahmet ein Tulpenfest. In dieser Vollmondnacht krochen Schildkröten mit Kerzen auf dem Rücken durch die Beete und beleuchteten die Blütenpracht. Für die Gäste hatte der Sultan Juwelen im Garten verstecken lassen. Wer einen Edelstein fand, nahm ihn als Gastgeschenk mit. Ich allerdings ließ die Juwelen liegen und stahl einen viel kostbareren Schatz.“
    „Na, habe ich Euch zu viel versprochen?“, raunte Medicus Tramner dem Ungarn zu. „Manche würden dafür bezahlen, solche Geschichten zu hören.“
    „Ihr seid doch ein rechtgläubiger Serbe, oder nicht?“, sagte der Magyar laut. „Und da schmückt Ihr Eure Ikonen mit heidnischen Blumen?“
    Jovan lachte nur gutmütig und setzte sich wieder an den Tisch.
    „Blumen beten nicht“, erwiderte er leichthin. „Früher oder später neigen sie allesamt ihre Köpfe – vor dem Kreuz ebenso wie vor dem Sichelmond.“
    „Meine Mutter hat die Tulipane geliebt“, sagte Danilo.
    Die Wirkung dieses Satzes glich einem Peitschenschlag. Von einer Sekunde auf die andere schien ein eisiger Windstoß durch das Zimmer zu wehen, der Jovans Lächeln auslöschte. Ich war mir sicher, jetzt würde er mit der Faust ausholen und seinen Sohn niederschlagen, und ich fürchtete um Danilo.
    Und dann lenkte etwas meinen Blick ab. Eine schattenhafte Bewegung über Danilos Schulter – am Fenster. Nur einen halben Herzschlag lang, wie ein Blitzlicht, und dennoch war es, als würde mich jemand an der Kehle packen.
    Da war ... ein Schimmer? Ich stolperte zurück und spürte kaum, wie mir der Krug aus den Händen glitt. Die Fratze! Weiß und verdorrt. Schattenflecken ... dunkle Augenhöhlen und ...
    Im Bruchteil des Augenblicks, den der Krug dem Boden entgegenfiel, kam ich wieder zu mir. Was auch immer ich am Fenster gesehen hatte, es war verschwunden. Das Klirren zerschellte laut wie Donnerhall an meinen Ohren. Nema sprang erschrocken auf, als sich der Wein über den Boden ergoss.
    „Recht so! Lasst uns doch das Geschirr auf den Boden werfen und tanzen!“, knurrte der Magyar. Ich blinzelte und schnappte nach Luft. Mir war schwindelig und ich wusste, dass ich totenblass war. Es war Einbildung , sagte ich mir. Ein Nebelschweif, ein Irrlicht in der Ferne ...
    Die Männer starrten mich an. Danilo hatte meinen ruhelosen Blick bemerkt und sah sich über die Schulter zum Fenster um.
    „Jasna?“, fragte der Medicus besorgt. Das Erstaunen darüber, dass er meinen Namen kannte, holte mich endgültig in die Wirklichkeit zurück. Hastig bückte ich mich und begann mit fahrigen Händen die Scherben aufzusammeln.
    „Ver... Verzeihung“, stammelte ich in der Sprache der Gäste. „Es ... ich habe nicht aufgepasst.“
    „Sieh an, und unsere Sprache spricht sie auch!“, rief Medicus Tramner verwundert aus. „Warum hast du das nicht gleich gesagt, Mädchen? Und wir reden über dich, als würdest du kein Wort verstehen!“
    Ich schluckte. Immer noch zitterten meine Hände und nun glühte auch noch mein Gesicht vor Verlegenheit.
    „Ihr ... habt nicht gefragt, Herr“, murmelte ich.
    „Wo hast du das gelernt?“, wollte Tramner wissen.
    Langsam schöpfte ich wieder Atem. Das Fenster war immer noch leer

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