Totenbraut (German Edition)
zurück.
„Scher dich in den Stall, du Verräter!“, zischte ich ihm zu und schloss die Tür.
Anica stellte den Korb auf dem Tisch ab und holte einen Krug mit Kuhmilch und einen Holzteller hervor. Die Milch war verwässert und die Pita völlig durchweicht, aber trotzdem konnte ich noch den Duft von geriebenen Walnüssen und Äpfeln wahrnehmen, mit denen das süße Gebäck gefüllt war. Dann legte sie noch eine Handvoll Knoblauchzehen und einen Beutel auf den Tisch. „Mohnsamen“, erklärte sie.
„Was soll ich damit? Was willst du überhaupt hier?“
„Dir mein Beileid aussprechen“, antwortete Anica ruhig, während sie sich das Wasser aus der Stirn wischte. „Und das alles hier ist für das Grab.“
Ich konnte sehen, wie unwohl sie sich im Turm fühlte. Nervös rieb sie sich die Hände, als wollte sie sie wärmen. Als ihr Blick auf Dušans Rabenfeder fiel, schoss mir das Blut in die Wangen, obwohl Anica ja gar nicht wissen konnte, wer sie mir geschenkt hatte.
„Warum bringst du eine Totenspeise? Kanntest ... du meinen Schwiegervater gut?“, fragte ich schließlich, um das unbehagliche Schweigen zu beenden.
Ihre Augen funkelten, als hätte meine Frage etwas Belustigendes. „Nicht besonders gut. Für Jovan war ich nicht viel wert. Er für mich allerdings auch nicht.“
Ihre Offenheit überrumpelte mich.
„Du scheinst ja wenig Achtung vor den Verstorbenen zu haben“, bemerkte ich. „Weder vor deinem eigenen Mann noch vor Jovan. Du bist hoffentlich nicht hergekommen, um am Grab zu tanzen?“
Offenbar war es nicht leicht, sie aus der Fassung zu bringen. Jede andere Frau hätte gekränkt oder wütend reagiert, Anica aber zog nur fragend die Brauen hoch. Ihre Mundwinkel zuckten – und plötzlich warf sie den Kopf in den Nacken und lachte! Es war ein kehliges, ehrliches Lachen, das mir trotz allem gefiel.
„Na, immerhin wirfst du heute mit Worten statt mit Holzscheiten nach mir!“, sagte sie mit einem füchsischen Blitzen in den Augen. „Obwohl deine Worte auch ganz schön hart treffen. Tanzen, sagst du? Nun, warum eigentlich nicht? Leute wie ich haben nichts zu verlieren. Und wenn ich ohnehin in die Hölle komme, will ich wenigstens mein Leben feiern, solange ich es noch habe.“
Ihre Unverfrorenheit erschütterte und faszinierte mich zugleich.
„Bist du deshalb hergekommen?“, fragte ich. „Um mich auszulachen?“
Anica wurde wieder ernst und musterte mich so scharf, dass ich in meinem eigenen Haus verlegen wurde. „Nichts weniger als das, Jasna“, sagte sie. „Ich weiß, dass es dir widerstrebt, mich hier zu sehen, und ich kann es dir nicht verübeln. Du wartest sicher auf eine Entschuldigung. Die wirst du von mir allerdings nicht hören. Was geschehen ist, ist geschehen, und ich wäre eine Heuchlerin, würde ich behaupten, dass ich es bereue. Aber du sollst wissen, dass ich ... nicht die bin, für die mich so viele halten. Danilo hat es dir vielleicht nicht erzählt, aber wir kennen uns schon von Kindheit an. Als wir noch jünger waren, träumten wir davon, eines Tages fortzugehen.“ Nun schwang etwas Sanftes in ihrer dunklen Stimme mit. Sie schluckte und fuhr leiser fort: „Ich weiß nicht, ob du es verstehst. Aber manchmal liebt man einen Menschen so sehr, dass es beinahe wie ein Fluch ist.“
Ohne dass ich es wollte, schweifte mein Blick zur Rabenfeder. Einen Moment lang wünschte ich mir, meinen Stolz vergessen zu können. Aber es war leichter, wütend auf Anica zu sein, als mir einzugestehen, dass sie etwas in mir berührte, das mich selbst erschreckte: die Sehnsucht nach Dušan. Und gleichzeitig die Angst davor.
„Dann bist du also nur hergekommen, um mir zu beweisen, dass du die älteren Rechte hast?“, sagte ich.
„Wozu? Die habe ich ohnehin“, erwiderte sie ohne Spott. „Danilo und ich gehören einander.“
„So? Warum hast du dann Luka geheiratet?“, rief ich. „Wenn eure Liebe wirklich so groß ist, wie du behauptest, dann hättest du nicht ...“
„Warum hast du dich denn verkaufen lassen?“, unterbrach sie mich. „Haben wir immer eine Wahl, Jasna? Sind wir immer stark genug, uns zu wehren, wenn ein ganzes Dorf oder eine Hausgemeinschaft uns zu etwas zwingen wollen?“ Ein Schatten verdüsterte ihre Miene und ich glaubte jede Stunde zu sehen, die sie mit Luka verbracht hatte. „Nein, du weißt genauso gut wie ich, wie schwer es ist, allein gegen die anderen zu stehen. Und es war nicht nur das Dorf, das alles dafür tat, mich von Danilo fernzuhalten.
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