Totenbraut (German Edition)
fest presste Belas unsichtbare Hand sie mir gegen die Zähne.
Dann hörte ich draußen etwas. Jemand ging dicht an der Hütte vorbei. Ein geflüsterter Befehl. Ein ungeduldiges, fremdes Wort. Der Wolf horchte auf und verschwand so schnell, als hätte mein Blinzeln ihn fortgetragen. Atemlos lauschte ich, während die Schritte sich entfernten und Belas Hand sich auflöste. Jemand befiehlt ihm! Der Wolf hat einen Herrn. Und ich wusste, dass ich dem Dunklen, vor dem meine Schwester mich gewarnt hatte, nur um Haaresbreite entkommen war.
Erst nach einer Ewigkeit wagte ich mich zu bewegen. Auf Knien kroch ich zur Tür und schloss sie leise. Ich schob den hölzernen Riegel vor und brachte mich auf dem Lager in Sicherheit. Mit aller Kraft versuchte ich wach zu bleiben, doch mir war schwindelig und elend zumute. Wirre Fieberträume nahmen mich gefangen, bis Hufgetrappel mich erneut aufschrecken ließ. Vetar wieherte und bekam eine Antwort. Wieder ertönten Schritte, dann hämmerte jemand gegen die Tür. „Jasna? Mach auf!“
Vor Erleichterung brach ich in Tränen aus. Ich taumelte aus dem Bett, entriegelte die Tür und fiel in Dušans Arme. Er war so überrascht, dass er zögerte, aber dann umarmte er mich so fest, dass mir der Atem wegblieb.
„Verdammt, ausgerechnet hier bist du!“, flüsterte er. „Ich war heute im Dorf und habe gehört, dass die Leute dich davongejagt haben. Dann bin ich zu den Türmen geritten und habe ... Jasna? Du zitterst ja!“
Er schob mich in die Hütte und schloss den Regen aus. Schwärze umgab uns. Immer noch klammerte ich mich an Dušan fest. Um nichts in der Welt hätte ich ihn losgelassen. Seine Hand fand zu meiner Stirn. Ich schrak zusammen, weil sie eiskalt war.
„Du fieberst!“ Ich konnte spüren, wie sein Herz schneller zu schlagen begann, als hätte er plötzlich Angst.
„Da war ein Wolf an der Tür.“ Meine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. Und schon das Flüstern war so anstrengend, dass meine Kehle pochte. „Ein heller, grauer. Größer als unsere Wölfe. Ich habe ihn schon einmal gesehen und da war noch ...“
Ich rang nach Luft, doch ich konnte nicht weitersprechen. Meine Knie gaben nach und wenn Dušan mich nicht festgehalten hätte, wäre ich eingeknickt.
„Beruhige dich“, murmelte er. Ich spürte kaum, wie ich an seiner Seite zum Bett taumelte. „Schlaf, Distel!“, flüsterte er mir ins Ohr. Und ich staunte selbst, wie einfach das nach all dem Schrecken war.
Das Fieber lähmte mich, es ließ mein Herz galoppieren und gaukelte mir Bilder vor. Immer wieder sah ich Vampir vor mir und rang vor Schreck nach Luft. Er war es, der die Leute tötete und nun auch mich holte! Wenn ich vor Kälte zitterte, glaubte ich mich in der Kellergruft, und wenn ich vor Hitze glühte, wimmerte ich, weil ich dachte, die Sonne würde meine Haut verbrennen und mich in ein Ungeheuer verwandeln.
Doch die tödliche Sonne war nur der Schein des Herdfeuers. Und die Flüssigkeit, die ich auf meinen Lippen spürte und angewidert verweigern wollte, war kein Pferdeblut, sondern Wasser, das nach Fluss und Schnee roch und an meinen Zähnen schmerzte, weil es so kalt war. Dušans Stimme trug mich durch jene Stunden, in denen ich fürchtete sterben zu müssen. Von all den Geschichten, die er mir erzählte, erinnere ich mich nur an ein Märchen über die Vilen und eine Sage über einen Steinbock mit goldenen Krickeln, der Zlatorog hieß und dessen Blutstropfen wundertätige Alpenrosen aus dem Boden sprießen ließen. Als ich endlich in einen tieferen Schlaf fiel, träumte ich von den goldumrahmten Gesichtern der Heiligen und von Sivac, der vor Freude und Erwartung wedelnd auf ein Bett sprang.
Einen Tag und die ganze nächste Nacht kam das Fieber in Schüben, doch bei jedem Mal wurde es schwächer und ich begriff, dass kein Vampir mir schaden wollte. Stattdessen erahnte ich nun die Geisterfrau, die mir die Krankheit gebracht hatte, an meinem Bett. Es war nicht die Čuma – die alte, hässliche Pestfrau mit den langen, zerzausten Haaren –, sondern ein rotwangiges Mädchen, das mit einem unsichtbaren Faden stickte. Als würde Dušans Stimme diese Dämonin von meinem Lager vertreiben, verblasste sie von Erwachen zu Erwachen mehr, bis ich zum ersten Mal wieder traumlos und ruhig schlafen konnte.
Der Fluss rauschte so nah an meinem Ohr, dass ich dachte, wir würden auf dem Wasser treiben, aber als ich mich regte, raschelte trockenes Stroh unter mir. Ein Halm bohrte sich
Weitere Kostenlose Bücher