Totenbuch
niedergeschlagen.«
»Ist Lydia der Grund, warum er
eine Wohnung in Charleston hat?«
»Kay - ich hoffe, ich darf Sie
so nennen -, ich wusste sehr wohl, dass Gianni bei Hollys Beerdigung im letzten
Sommer anwesend war. Aber ich durfte es Ihnen nicht verraten. Damit hätte ich
sein Vertrauen missbraucht.«
»Allmählich habe ich es satt,
dass jeder Gründe zu haben glaubt, mir etwas verheimlichen zu müssen.«
»Ich wollte Ihre Ermittlungen
nicht behindern, sondern Ihnen einen Anstoß geben, es von allein
herauszufinden.«
»Ich habe außerdem genug davon,
dass man mich alles allein herausfinden lässt.«
»Wenn Sie von selbst darauf
kommen, dass Gianni Lupano auf Hollys Beerdigung war, kann niemand etwas
dagegen einwenden. Also habe ich Ihnen die Gästebücher zugänglich gemacht. Ich
habe Verständnis dafür, dass Sie sich ärgern. Doch Sie hätten sich an meiner
Stelle sicher genauso verhalten. Oder würden Sie jemanden enttäuschen wollen,
der Vertrauen in Sie gesetzt hat?«
»Kommt darauf an.«
Hollings betrachtet das
erleuchtete Fenster von Lupanos Wohnung. »Jetzt muss ich mir vermutlich
Vorwürfe machen«, seufzt er.
»Weshalb pochen Sie so auf
Vertraulichkeit?«, hakt Scarpetta nach. »Verschweigen Sie mir etwa noch etwas?«
»Gianni hatte Lydia vor einigen
Jahren kennengelernt, und zwar als der Family Circle Cup noch auf Hilton Head
stattfand. Die beiden hatten eine lange Affäre, der Grund, warum er sich hier
eine Wohnung zugelegt hat. Dann, an jenem verhängnisvollen Julitag, schlug das
Schicksal zu. Er und Lydia waren im Schlafzimmer. Den Rest können Sie sich
denken. Holly war unbeaufsichtigt und ist ertrunken. Die Beziehung zerbrach.
Lydias Mann hat sie verlassen. Lydia ist zusammengebrochen.«
»Und Lupano fing an, mit Drew
ins Bett zu gehen?«
»Der Himmel weiß, mit wem er
alles ins Bett gegangen ist, Kay.«
»Warum hat er die Wohnung
behalten, obwohl seine Liaison mit Lydia vorbei war?«
»Vielleicht, um ein heimliches
Liebesnest mit Drew zu haben. Unter dem Vorwand, er würde sie trainieren.
Manchmal sagte er, das leuchtend grüne Laub, das Wetter, die schmiedeeisernen
Gitter und die alten Häuser erinnerten ihn an Italien. Angeblich war er noch
immer mit Lydia befreundet und hat sie hin und wieder besucht.«
»Hat er Ihnen erzählt, wann er
das letzte Mal bei ihr war?«
»Vor einigen Wochen. Nachdem
Drew das Turnier gewonnen hatte, ist er abgereist und erst später wieder nach
Charleston zurückgekehrt.«
»Irgendwie passen die
Einzelteile für mich immer noch nicht richtig zusammen.« Scarpettas
Mobiltelefon meldet sich. »Warum sollte er zurückkommen? Aus welchem Grund ist
er nicht einfach mit Drew nach Rom geflogen? Oder hat er sie vielleicht doch begleitet?
Schließlich sollte sie bei den Italian Open und in Wimbledon antreten.
Außerdem will mir nicht in den Kopf, warum sie aus heiterem Himmel beschlossen
hat, mit ihren Freundinnen Urlaub zu machen, obwohl sie doch eigentlich für die
wichtigsten Turniere ihrer gesamten Karriere hätte trainieren müssen. Gut, sie
ist nach Rom gereist. Aber nicht, um sich auf die Italian Open vorzubereiten,
sondern um sich zu amüsieren. Mir kommt das jedenfalls schleierhaft vor.«
Scarpetta geht nicht ans
Telefon. Sie sieht nicht einmal nach, wer es ist.
»Er hat mir erzählt, er sei
unmittelbar nach Drews Turniersieg nach New York geflogen. Vor einem knappen
Monat. Das ist nur schwer zu glauben.«
Das Telefon hört auf zu
klingeln.
»Gianni hat Drew nicht
begleitet, weil sie ihn gerade gefeuert hatte«, erzählt Hollings weiter.
»Sie hat ihn gefeuert?«,
wiederholt Scarpetta. »Ist das bekannt?“
»Nein.«
»Und aus welchem Grund hat sie
sich von ihm getrennt?« Ihr Telefon klingelt wieder.
»Weil Dr. Seif es ihr geraten
hat«, antwortet Hollings. »Deshalb ist er nach New York geflogen. Er wollte
Drew zur Rede stellen, damit sie es sich noch einmal anders überlegt.«
»Ich sollte besser sehen, wer
dran ist.« Scarpetta nimmt das Gespräch an.
»Du musst auf dem Weg zum
Flughafen hier vorbeischauen«, verlangt Lucy.
»Es liegt nicht unbedingt auf
dem Weg.«
»Ich denke, wir können in einer
bis anderthalb Stunden starten. Bis dahin müsste das Wetter sich beruhigt
haben. Aber komm vorher ins Labor.« Lucy vereinbart einen Treffpunkt mit ihr.
»Ich möchte am Telefon nicht darüber reden«, erklärt sie.
Scarpetta sagt zu. »Ich nehme
an, Drew hat sich nicht umstimmen lassen«, nimmt sie dann das Gespräch mit
Hollings
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