Totenbuch
Außerdem komme ich normalerweise gut mit Menschen klar. Empfehlen Sie
Ihrer Kundschaft eigentlich ein bestimmtes Bestattungsinstitut?«
»Schalten Sie doch eine Anzeige in den Gelben
Seiten, Blödmann !«
Als Lucious steifbeinig auf das kleine Büro zueilt,
erinnern seine hastigen Schritte Benton an das Auf- und Zuklappen einer Schere.
In einer Einstellung ist Lucious im Büro zu sehen, wo
er mit Papieren hantiert und auf der Suche nach einem Stift in Schubladen
kramt.
In dem anderen Quadranten fragt Marino Shandy:
»Kannte sich bei euch denn niemand mit Erster Hilfe bei Ersticken aus?«
»Nein, aber ich bin lernfähig, Baby«, erwidert sie.
»Ich helfe dir, so gut ich kann.«
»Jetzt mal im Ernst. Als dein Vater erstickt
ist...«, hakt Marino nach.
»Wir dachten, er hätte einen Herzinfarkt oder einen
Schlaganfall«, unterbricht sie ihn. »Es war schrecklich, wie er sich an den
Hals gegriffen hat und umgefallen ist. Er hat sich den Kopf gestoßen und wurde
ganz blau im Gesicht. Wir wussten nicht, was wir tun sollten, und hatten keine
Ahnung, dass er keine Luft mehr bekam. Aber auch dann hätten wir nichts
unternehmen können, außer den Notarzt zu rufen.« Plötzlich sieht sie aus, als
wäre sie den Tränen nah.
»Entschuldige, dass ich so hart sein muss, doch ihr
hättet durchaus etwas tun können«, widerspricht Marino. »Ich zeige es dir.
Komm, dreh dich um.«
Lucious ist mit den Formularen fertig, eilt aus dem
Büro und marschiert an Marino und Shandy vorbei. Sie achten nicht auf ihn, als
er allein den Autopsiesaal betritt. Stattdessen schlingt Marino seine
mächtigen Arme um Shandys Taille, ballt die Faust und drückt den Daumen in
ihren Bauch kurz oberhalb des Nabels. Mit der anderen Faust umfasst er ihre
Hand und schiebt sie leicht nach oben, damit sie versteht, wie es funktioniert.
Dann lässt er die Hände nach oben gleiten.
»Ich glaub es nicht«, sagt Lucy Benton ins Ohr. »Der
Schwachkopf kriegt im Autopsiesaal einen Ständer.«
Im Autopsiesaal selbst nimmt die Kamera auf, wie
Lucious zu dem großen schwarzen Buch auf dem Arbeitstisch - dem Totenbuch, wie
Rose es beschönigend nennt - hinübergeht. Er trägt den Namen der Toten mit dem
Stift ein, den er aus dem Büro mitgenommen hat.
»Das darf er doch gar nicht«, sagt Lucy zu Benton.
»Nur Tante Kay fasst dieses Buch an. Es ist ein amtliches Dokument.«
»So aufregend ist es hier aber nun auch wieder
nicht«, beschwert sich Shandy währenddessen bei Marino. »Oder vielleicht doch?«
Sie greift hinter sich und berührt ihn zwischen den Beinen. »Du weißt, wie man
ein Mädchen in Stimmung bringt.«
»Ich traue meinen Augen nicht«, sagt Benton in sein
Headset.
Shandy dreht sich in
Marinos Armen um und küsst ihn. Als sie so knutschend wie Teenager mitten im
Autopsiesaal stehen, befürchtet Benton schon, sie könnten gleich an Ort und
Stelle übereinander herfallen.
»Jetzt probier es mal an mir aus«, weist Marino sie
dann an.
In einem anderen Quadranten kann Benton beobachten,
wie Lucious das Totenbuch durchblättert.
Als Marino sich umdreht, ist seine Erektion nicht zu
übersehen. Shandy gelingt es kaum, die Arme um ihn zu schlingen, und sie fängt
an zu lachen. Er legt die riesigen Pranken auf ihre Hände, hilft ihr und sagt:
»Das ist kein Scherz. Wenn du je mitkriegen solltest, dass ich ersticke, musst
du so drücken. Fest!« Er macht es vor. »Es geht darum, die Luft
herauszupressen, damit der feststeckende Gegenstand dabei herausgeschleudert
wird.« Ihre Hände wandern abwärts, und sie berührt ihn wieder. Marino schiebt
sie weg und kehrt Lucious, der gerade aus dem Autopsiesaal kommt, den Rücken
zu.
Lucious lässt das Gummiband schnalzen. »Offenbar hat
sie noch nichts über den toten Jungen rausgekriegt, da er im Register als nicht identifiziert eingetragen
ist.«
»Das war bei seiner Einlieferung. Was bilden Sie
sich eigentlich ein, in dem Buch herumzuschnüffeln?« Dass Marino Lucious den
Rücken zuwendet, sieht ein wenig lächerlich aus.
»Anscheinend ist sie mit diesem schwierigen Fall
überfordert. Ein Jammer, dass ich ihn nicht eingeliefert habe. Vielleicht hätte
ich ihr eine Hilfe sein können. Ich weiß mehr über den menschlichen Körper als
jeder Arzt.« Lucious tritt zur Seite und mustert Marinos Schritt. »Ach, was
haben wir denn da?«, spöttelt er.
»Sie haben doch von Tuten und Blasen keine Ahnung,
und was den toten Jungen angeht, halten Sie besser den Mund«, zischt Marino.
»Auch über Doc Scarpetta
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