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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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wie man einem kleinen Kind so was antun kann. Ich muss ihn
sehen. Da ich schon mal hier bin, kannst du ihn mir genauso gut zeigen.« Sie
zündet zwei Zigaretten an. Die beiden rauchen.
    »Manipulativ. Borderline«, stellt Benton fest.
»Diesmal hat er sich ein richtiges Problem an Land gezogen.«
    Marino schiebt die Bahre aus der Kühlkammer.
    Als er den Leichensack öffnet, raschelt Plastik.
Lucy holt die Aufnahme näher heran, wie Shandy Rauch auspustet und den kleinen
Jungen mit weit aufgerissenen Augen ansieht.
    Ein abgemagerter kleiner Körper, in geraden Linien
vom Kinn bis zu den Genitalien, von den Schultern bis zu den Händen und von den
Hüften bis zu den Zehen aufgeschlitzt. Seine Brust klafft auseinander wie eine
ausgehöhlte Wassermelone. Die Organe wurden entfernt. Seine Haut ist
zurückgeklappt, sodass zahlreiche dunkelviolette Blutergüsse, unterschiedlich
in Alter und Schwere, sowie Risse und Brüche an Knorpeln und Knochen sichtbar
sind. Seine Augenhöhlen sind leer und geben den Blick ins Schädelinnere frei.
    Shandy schreit auf. »Ich
hasse diese Frau! Ich hasse sie! Wie konnte sie ihm das antun? Ausgeweidet und
gehäutet wie ein erlegter Hirsch! Wie kannst du für so eine durchgeknallte
Schlampe arbeiten?«
    »Beruhig dich und hör auf, hier rumzubrüllen.«
Marino verschließt den Leichensack, schiebt ihn zurück in die Kühlkammer und
schließt die Tür. »Ich habe dich gewarnt. Es gibt eben Dinge, die man sich
besser nicht ansehen sollte. Von so etwas kann man ein posttraumatisches
Stresssyndrom kriegen.«
    »Jetzt werde ich ihn für den Rest meines Lebens so
vor Augen haben. Diese gottverdammte perverse Nazi-Nutte.«
    »Wehe, wenn du es überall herumerzählst!
Verstanden?«, sagt Marino.
    »Wie kannst du für so jemanden arbeiten?«
    »Halt den Mund, und das meine ich ernst«, erwidert
Marino. »Ich habe bei der Autopsie mitgeholfen, und ich bin alles andere als ein
Nazi. So ist es nun mal. Wenn man ermordet wird, wird man zweimal zum Opfer.«
Er nimmt Shandy den Kittel ab und faltet ihn hastig zusammen. »Das Schicksal
dieses kleinen Jungen war wahrscheinlich schon am Tag seiner Geburt besiegelt.
Kein Mensch hat sich auch nur einen Dreck für ihn interessiert. Und das ist
jetzt das Ergebnis.«
    »Was weißt du schon über sein Leben? Leute wie du
glauben, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Und dabei seht ihr
nur, was übrig ist, wenn ihr die Leichen zerstückelt habt wie die Metzger.«
    »Du wolltest doch unbedingt herkommen.« Allmählich
verliert Marino die Geduld. »Also sei jetzt still und bezeichne mich nicht als
Metzger.«
    Er lässt Shandy auf dem Flur stehen und bringt den
Kittel zurück in Scarpettas Spind. Dann schaltet er die Alarmanlage ein. Die
Kamera an der Rampe filmt die beiden. Dann fällt die große Tür quietschend ins
Schloss und rastet mit einem Scheppern ein.
    Währenddessen wendet sich Lucy an Benton: Es bleibe
ihm überlassen, Scarpetta von Marinos Besichtigungstour und seinem Fehltritt in
Kenntnis zu setzen, die ihr berufliches Ende bedeuten können, falls die Medien
je Wind davon bekommen. Denn sie, Lucy, müsse nun dringend zum Flughafen und
werde erst morgen am späten Abend zurück sein. Benton stellt keine Fragen. Er
ist ziemlich sicher, dass sie bereits im Bilde ist, obwohl sie ihm nichts davon
gesagt hat. Dann berichtet Lucy ihm von Dr. Seif und ihren E-Mails an Marino.
    Benton schweigt. Auf dem Bildschirm steigen Marino
und Shandy Snook auf ihre Motorräder und fahren davon.
     
    5
     
    Das Klappern von Metall rädern auf Fliesen.
    Die Tür der Kühlkammer öffnet sich mit einem
gequälten Schmatzen. Ohne auf die eiskalte Luft oder den gekühlten Verwesungsgeruch
zu achten, rollt Scarpetta den Edelstahlwagen mit dem kleinen schwarzen
Leichensack heraus. Am Reißverschluss ist ein mit schwarzer Tinte beschrifteter
Zettel befestigt: Unbekannt, 30. 04. 07 und dazu die Unterschrift des Bestatters, der die Leiche
angeliefert hat. Ins Register hat Scarpetta Unbekannt, männlich, Alter fünf bis sechs Jahre,
Tötungsdelikt, Fundort Hilton Head Island eingetragen. Das ist zwei Autostunden von Charleston entfernt.
Der Junge ist ein Mischlingskind.
    Sie ist hier die Einzige, die Eintragungen ins
Register vornimmt, und deshalb ist sie empört, als sie bei ihrer Ankunft vor
einigen Stunden feststellen musste, dass der Fall des heutigen Tages bereits
vermerkt wurde. Vermutlich von Lucious Meddick. Aus unerklärlichen Gründen hat
er sich angemaßt zu

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