Totenbuch
Know-how. Und,
wie ich annehme, finanziell unabhängig. Faszinierend.«
»Sie hat kaum ein Wort mit mir gewechselt, sondern
sich nur vorgestellt, mir die Hand geschüttelt und ein bisschen Smalltalk
gemacht. Ansonsten hat sie nur mit Josh geredet und war ziemlich lange bei Dr.
Wesley im Büro. Hinter geschlossener Tür.«
»Wie fanden Sie sie?«
»Ziemlich arrogant. Natürlich habe ich sie nicht
richtig kennengelernt, weil sie fast ständig mit Dr. Wesley zusammen war.
Hinter geschlossener Tür«, wiederholt sie spitz.
Eifersüchtig. Das trifft sich ja gut. »Wie nett«, sagt Dr. Seif. »Offenbar haben die beiden ein
gutes Verhältnis. Sie scheint ein außergewöhnlicher Mensch zu sein. Ist sie
denn hübsch?«
»Auf mich hat sie recht männlich gewirkt, wenn Sie
verstehen, was ich meine. Ganz schwarz angezogen, viele Muskeln und ein
Händedruck wie ein Kerl. Außerdem hat sie mir mit so einem durchdringenden
Blick in die Augen geschaut wie mit grünen Laserstrahlen. Jedenfalls habe ich
mich ausgesprochen unwohl gefühlt. Wenn ich es mir genauer überlege, wollte ich
lieber nicht mit ihr allein sein. Solche Frauen ...«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, war sie von Ihnen
angezogen und wollte mit Ihnen schlafen, bevor sie wieder in ihren ... lassen
Sie mich raten, es war sicher ein Privatflugzeug«, meint Dr. Seif. »Wo, sagten
Sie, wohnt sie?«
»In Charleston, wie ihre Tante. Inzwischen glaube
ich wirklich, dass sie mit mir ins Bett wollte. Mein Gott, warum ist mir das
nicht gleich klar gewesen, als sie mir die Hand geschüttelt und mir in die
Augen geschaut hat? Ach, und noch etwas: Sie hat mich gefragt, ob ich viele
Überstunden machen müsste, so als wolle sie wissen, wann ich Feierabend habe.
Und sie hat sich erkundigt, woher ich komme. Sie hat mich richtig ausgehorcht!
Das habe ich damals nur nicht gemerkt.«
»Vielleicht, weil Sie es aus Angst nicht wahrhaben
wollten, Jackie. Diese Lucy scheint eine sehr faszinierende und charismatische
Person zu sein, die über die fast hypnotische Fähigkeit verfügt, heterosexuelle
Frauen ins Bett zu locken. Und nach einer stark erotisch geprägten Erfahrung
...« Kurz hält Dr. Seif inne. »Ist Ihnen klar, warum es gar nicht so selten
vorkommt, dass zwei Frauen Sex miteinander haben, selbst wenn eine von ihnen -
oder sogar alle beide - heterosexuell ist?«
»Keine Ahnung.«
»Haben Sie Freud gelesen?«
»Ich habe mich noch nie zu einer anderen Frau
hingezogen gefühlt. Nicht einmal zu meiner Zimmergenossin auf dem College, und
dabei haben wir zusammengewohnt. Falls eine latente Neigung bestanden hätte,
hätte doch etwas dergleichen geschehen müssen.«
»Es geht immer um Sex, Jackie. Das sexuelle Begehren
lässt sich bis in die früheste Kindheit zurückverfolgen. Was ist es, das männliche
und weibliche Kinder gleichermaßen bekommen und das der Frau später verweigert
wird?«
»Ich weiß nicht.«
»Das Saugen an der Mutterbrust.«
»Darauf kann ich verzichten. Ich erinnere mich nicht
daran, und für Brüste interessiere ich mich nur, weil Männer darauf stehen. Das
ist ihre einzige Bedeutung, der Grund, warum ich sie überhaupt wahrnehme.
Außerdem wurde ich, wie ich glaube, mit der Flasche gefüttert.«
»Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu«, sagt Dr.
Seif. »Trotzdem seltsam, dass sie wegen einer Computertomographie eine so
weite Reise gemacht hat. Hoffentlich fehlt ihr nichts Ernsthaftes.«
»Ich weiß nur, dass sie mehrmals im Jahr herkommt.«
»Mehrmals?«
»Das hat einer der Techniker erzählt.«
»Ein Jammer, wenn sie schwer krank wäre. Schließlich
wissen wir beide, dass es nicht normal ist, wenn sich jemand mehrmals im Jahr
das Gehirn durchleuchten lässt. So etwas ist doch keine Routineuntersuchung.
Was sollte ich denn eigentlich bei meiner eigenen Computertomographie
beachten?«
»Sind Sie schon gefragt worden, ob es ein Problem
für Sie ist, sich in die Röhre zu legen?«, erkundigt sich Jackie
wichtigtuerisch. »Ein Problem?«
»Manche Patienten haben damit Schwierigkeiten.«
»Solange ich anschließend noch Norden und Süden
auseinanderhalten kann ... Allerdings hat Ihr Einwand etwas für sich. Ich
frage mich wirklich, welche Auswirkungen so eine Untersuchung auf den Menschen
hat, denn dazu gibt es noch keine aussagekräftigen Ergebnisse. Immerhin ist
die Magnetresonanz-Tomographie noch nicht so lange im Einsatz.«
»In dieser Studie wird fMRI verwendet,
funktionale Magnetresonanz, damit wir Ihre Gehirntätigkeit beobachten
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